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Scholz spielt auf Zeit

von Redaktion

Gipfel zum Thema Asyl

Jetzt also doch: Erst fand SPD-Chefin Saskia Esken, man könne aus dem Anschlag von Solingen „nicht allzu viel lernen“. Dann echauffierten sich die Grünen über die Wortwahl von Friedrich Merz („Rhetorik des Spaltens“). Und jetzt bittet der Bundeskanzler – nach einem Tag Bedenkzeit – doch einen breiteren Kreis von Personen zum Gespräch. Opposition inklusive.

Die öffentliche Vielstimmigkeit der Ampelparteien im Umgang mit dem Anschlag von Solingen und dem Gesprächsangebot von Friedrich Merz zeigt, dass die Regierung auch intern keinen gemeinsamen Nenner findet. Neu ist das nicht. Aber wenn FDP-Chef Christian Lindner sagt, man brauche einen „neuen Realismus in der Einwanderungspolitik“, dann klingt er eher wie Merz als wie Habeck. Klar, auch diese Äußerungen sind mit Blick auf den Wahlkampf im Osten zu betrachten. Aber es scheint schon insgesamt etwas ins Rutschen zu geraten.

Scholz ruft erst einmal zum Gipfel jenseits der ewigen Verhandlungsrunden der Ampelparteien. Das ist clever, weil es Tatkraft suggeriert und der SPD zumindest bis zum Sonntag ein wenig Zeit verschafft. Tenor: Wir haben verstanden! Die eigentliche Frage aber lautet: Stehen am Ende auch Ergebnisse? Skepsis ist angebracht: Im November hatte es einen Bund-Länder-Gipfel zur Migration gegeben. Der Kanzler sprach von einem „historischen Moment“. Das klang schon damals übertrieben, heute muss man fast von Täuschung sprechen. Bei den zentralen Punkten (Eindämmung des Zuzugs, Asylverfahren in Drittstaaten) ist kaum etwas passiert. Fast ein Jahr später erwartet Deutschland keine großen Worte mehr, sondern Taten. Ob Scholz dazu noch die Kraft hat? Oder will er gar nicht? Mike.Schier@ovb.net

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