Der Kanzler hat dem „Spiegel“ ein Interview zu den ernsten Themen Migration und Sicherheit gegeben. Darin findet sich ein unfreiwillig komischer Satz: „Wenn jemand 2021 eine lange Weltreise angetreten hätte, ohne Handyempfang und Mediennutzung, und jetzt nach Deutschland zurückkäme, wäre er von der Leistungsbilanz unserer Regierung wohl beeindruckt.“ Offenbar klaffen Selbstwahrnehmung und öffentliches Bild noch weiter auseinander als gedacht. Dabei müsste Olaf Scholz doch selbst auffallen, wie sehr sein Regierungshandeln in diesen Tagen vom sonst quälend langsamen Ampel-Procedere abweicht. Plötzlich wird ruhig und effizient ein weitreichendes Maßnahmenpaket ausgearbeitet. Plötzlich werden Straftäter nach Afghanistan abgeschoben. Der Schock über ein schweres Verbrechen, vor allem aber der drohende AfD-Erfolg bei der Wahl machen es möglich.
Es bleiben Fragen. Die naheliegendste: Warum erst jetzt? Warum dauerte es mehr als drei Jahre, bis man verurteilte Vergewaltiger und Serientäter außer Landes bringt, die mit ihren Taten jeglichen Schutzanspruch, jegliches Gastrecht verwirkt haben? Dabei geht es auch um ein klares Signal an alle anderen: Deutschland akzeptiert Vielfalt, aber die Grundregeln des Zusammenlebens gelten für alle. Unverständlich bleibt, warum der Steuerzahler den Straftätern noch 1000 Euro Handgeld mit auf die Reise gibt, was mehr als zwei afghanische Monatseinkommen bedeutet. Eine Verhöhnung der Opfer.
Dennoch: Das Vorgehen der Ampel in dieser Woche war richtig. Und es sollte – auch nach den Wahlen – stilbildend für die nächsten Monate sein. Nicht nur, aber vor allem in Sicherheits- und Asylfragen. Auf der Liste fehlt noch die Beendigung des automatischen „subsidiären“ Schutzes für Menschen aus Syrien. Vor allem aber muss man aufhören, die falschen abzuschieben. Die Integrierten mit Arbeitsplatz und geregeltem Tagesablauf. Dazu müssen keine Gesetze geändert werden. Es reicht, die bestehenden konsequent anzuwenden. Mike.Schier@ovb.net