Hat gute Chancen im Tory-Rennen: Ex-Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch. © Jonathan Hordle/picture alliance
München – Als wäre alles nicht schon schlimm genug, mussten die britischen Konservativen dieser Tage noch einen symbolischen Tiefschlag wegstecken. Der neue Premier Keir Starmer, ein Sozialdemokrat, ließ das Porträt von Margaret Thatcher abhängen, der Eisernen, die noch immer viele Fans hat. Bislang hing das Gemälde im Regierungssitz in der Downing Street, aber Starmer soll Thatchers strengen Blick nicht ertragen haben. Also weg damit. Die Tories schäumten.
Man kann das irgendwie nachvollziehen. Die historische Wahlniederlage hat die traditionsreiche Partei aus der Bahn geworfen, die Vergangenheit gibt Halt. Spätestens ab heute soll es aber wieder um die Zukunft gehen. Die Konservativen suchen einen neuen Vorsitzenden. Man könnte auch sagen: einen Retter.
Sechs Kandidaten sind im Rennen um die Nachfolge von Rishi Sunak. Der gescheiterte Ex-Premier hat sich bereit erklärt, die Partei so lange zu führen, bis ein neuer Chef feststeht. Das soll Anfang November der Fall sein. Immerhin: Bisher lief die interne Nachfolgedebatte relativ ruhig. Doch das könnte sich ändern.
Denn in der Chefsuche steckt auch eine Richtungsdebatte: liberale gegen rechte Konservative. Glaubt man den britischen Wettbüros, dann hat mit der früheren Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch eine Rechtskonservative die besten Chancen. Die Tochter nigerianischer Einwanderer befürwortete den Brexit und gilt als starke Kritikerin linker Identitätspolitik. In ihrer Bewerbung kritisierte sie mitunter Sunak, in dessen Regierungszeit „zwar rechts geredet, aber links gehandelt“ worden sei. Die 44-Jährige hat konstant hohe Zustimmungswerte unter den Parteimitgliedern. 2022 bewarb sie sich schon einmal als Tory-Chefin und wurde Vierte.
Auch die frühere Innenministerin Priti Patel und der ehemalige Einwanderungsminister Robert Jenrick werden dem rechtskonservativen Lager zugerechnet. Letzterer galt lange als Verbündeter des eher mittigen Sunak, bewegte sich aber zuletzt nach rechts. Letztes Jahr warf er als Minister hin, weil ihm Sunaks Ruanda-Gesetze nicht weit genug gingen. Damit sammelte er Glaubwürdigkeitspunkte.
Aus dem eher liberalen Lager bewerben sich der frühere Innen- und Außenminister James Cleverly, Ex-Arbeitsminister Mel Stride und der Innenpolitiker und Brexit-Skeptiker Tom Tugendhat, der bei gemäßigten Tories hohes Ansehen genießt. Im Kreis der Sechs war Cleverly der erste, der seine Bewerbung ankündigte. Er gilt als einer der erfahrensten Ex-Minister in den Reihen der Tories, hat wie Badenoch und Patel einen Einwanderungshintergrund. Jüngste Ankündigung: Sollte er Parteichef werden, will er das von der Labour-Regierung beerdigte Ruanda-Modell wiederbeleben, das vorsah, Asylbewerber in das afrikanische Land zu bringen.
Die finale Entscheidung über Sunaks Nachfolge wird noch Wochen dauern, ab heute wird aber bereits ausgesiebt. Zuerst hat die auf 121 Abgeordnete geschrumpfte Tory-Fraktion das Wort. In mehreren Abstimmungen soll sie vorerst vier Bewerber auswählen. Beobachter meinen, dass der Sozialpolitiker Stride am ehesten durchfallen wird, der Rest ist relativ offen. Bisher haben sich laut der Zeitschrift „The Spectator“ 56 Parlamentarier positioniert. In ihrer Gunst liegen Jenrick und Badenoch vorne.
Die vier verbleibenden Kandidaten stellen sich beim Parteitag Ende September in Birmingham vor, dann hat noch mal die Fraktion das Wort und wirft zwei weitere Bewerber raus. Die Mitglieder sollen dann per Urwahl den neuen Parteichef bestimmen. Er oder sie wird eine Riesenaufgabe vor der Brust haben: die älteste Partei der Welt wieder aufzurichten.
MARCUS MÄCKLER