Die CDU im Wagenknecht-Dilemma

von Redaktion

Von null auf Machtfaktor: Die Partei von Sahra Wagenknecht könnte im Osten mitregieren. Aber in der CDU wächst dieser Tage das Unbehagen darüber. © Tobias Schwarz/AFP

München – Um jeden Anschein von Verbindlichkeit zu vermeiden, hat Mario Voigt (CDU) ein neues Wort erfunden. Noch diese Woche werde man sich mit SPD und BSW zusammensetzen, sagte Thüringens vielleicht künftiger Ministerpräsident gestern – und zwar zu „Optionsgesprächen“. Man wolle „inhaltliche Grundlagen“ einer möglichen Zusammenarbeit abklären. Aber bitte, Sondierungen seien das noch nicht.

Das klang nach Vorsicht und dünnem Eis,und so war es auch gemeint. Das Problem ist nicht die SPD, sondern die Wagenknecht-Partei, die im Osten von null zum Machtfaktor geworden ist. Um in die Nähe einer Regierungsmehrheit zu kommen, führt an ihr kaum ein Weg vorbei. Doch inhaltlich ist sie in vielem die Gegenthese zur CDU: Nato- und USA-feindlich, Kreml-freundlich, gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, gegen US-Raketen in Deutschland. Passt zusammen, was sich im Kern widerspricht? Das ist das Dilemma. Und es beginnt, an der CDU zu nagen.

Klassischerweise spielt Außenpolitik auf Landesebene keine Rolle. Dass es jetzt anders ist, liegt vor allem an Sahra Wagenknecht. Schon im Wahlkampf stellte sie Koalitions-Bedingungen, die besonders auf das Verhältnis zu Putins Russland zielen. In der Ost-CDU verbat man sich das zwar offiziell, sprach aber urplötzlich von mehr Diplomatie oder forderte, wie Michael Kretschmer in Sachsen, einen Waffenstopp.

Da deutete sich schon an, was eine Zusammenarbeit mit dem BSW mit der Geschlossenheit der Union anrichten könnte. Damals gab es halblaute Kritik. Jetzt, da es ernst wird im Osten, wird sie fundamental.

Zu spüren war das etwa am Mittwoch, als 40 teils namhafte CDU-Mitglieder ein Einlenken forderten. Der nächste Bundesparteitag müsse einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit dem BSW beschließen, hieß es da. So ein Beschluss gilt schon für AfD und Linkspartei. Der Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter sagte dem „Tagesspiegel“, das BSW agiere „als verlängerter Arm des Kreml“ und wolle „die demokratische Mitte inklusive der Union als Volkspartei aushöhlen und unsere Grundwerte unterminieren“. Eine Zusammenarbeit sei ausgeschlossen. Der EU-Abgeordnete Dennis Radtke meint: „Die CDU steuert auf einen Abgrund zu, wenn wir uns vor den Karren von Wagenknecht spannen lassen.“

Die Kritik richtet sich klar gegen die Linie von Parteichef Friedrich Merz. Der hatte das BSW vor Wochen als eine in Teilen links- und in Teilen rechtsextreme Partei bezeichnet, dann aber den Ost-Landesverbänden freie Hand gelassen. Die Parteimitglieder vor Ort müssten in die „Blackbox oder Redbox“ hineinschauen und dann selbst über eine Zusammenarbeit entscheiden. Dass die „Blackbox“ gar nicht so undurchsichtig ist, wie oft behauptet, dass durchaus klar ist, wofür Wagenknecht außen- wie innenpolitisch steht, ignorieren manche dieser Tage ganz bewusst.

Wenn es schlecht läuft, droht der CDU eine Zerreißprobe, auch wenn Merz das anders sieht. „Sie wird uns teilweise von den Medien angedichtet“, sagte er gestern. Natürlich gebe es im Westen ein „erhebliches Unbehagen“ angesichts der Debatten in Thüringen und Sachsen. „Aber das müssen wir als CDU aushalten. Und wir sollten aus der westdeutschen Komfortzone nicht unerbetene öffentliche Ratschläge geben.“

Vielleicht erinnert er sich ja trotzdem daran zurück, dass die politischen Vorgänge in Thüringen schon einmal zum Verhängnis für einen CDU-Chef wurden. 2020 trat Annegret Kramp-Karrenbauer als Bundesvorsitzende zurück, nachdem CDU-Abgeordnete gemeinsam mit FDP und AfD Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten gewählt hatten. Manche in der CDU fürchten, dass Merz angesichts der extrem schwierigen Mehrheitsverhältnisse in ähnliche Bedrängnis geraten könnte. Und dass einer im Süden genau darauf lauere: Markus Söder. Ein Merz-Stolperer würde ihm im Kanzler-Rennen nutzen.

Dass er sich „nicht drücken“ würde, ließ Söder erst Anfang der Woche beim Gillamoos wissen. Dort holzte er auch wieder heftig gegen die Grünen. Manche fragen sich, ob das noch die richtige Prioritätensetzung ist. Dass man im Osten mit Stalinisten wie Wagenknecht paktieren wolle, aber Koalitionen mit den Grünen ausschließe, könne niemand verstehen, sagt CDU-Mann Radke.

Die Gespräche in Thüringen (wo selbst CDU, BSW und SPD nicht auf eine Mehrheit kommen) und Sachsen dürften zäh werden. Aus Thüringer CDU-Kreisen hieß es, einzelne Stimmen hätten sich dafür ausgesprochen, mit der AfD zumindest mal zu reden. Andere denken über mögliche Minderheitsregierungen nach. Bei der Linkspartei ist man besonders kreativ: Die CDU solle doch einfach eine Regierung aus Linke, BSW und SPD tolerieren, hieß es gestern: Rot-Rot-Rot.
MIT DPA

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