Angriff auf das historische Stadtzentrum in Lwiw: Dort seien mindestens sieben Menschen getötet und mindestens 38 Menschen verletzt worden, hieß es am Mittwoch. © dpa
Kiew – Mitten im Krieg mit Russland hat das ukrainische Parlament mehrere Minister auf eigenen Wunsch aus dem Dienst entlassen und damit einen von Präsident Wolodymyr Selenskyj angekündigten Regierungsumbau eingeleitet. Angenommen wurden die handschriftlich verfassten Rücktrittsgesuche von Vizeregierungschefin Olha Stefanischyna, Justizminister Denys Maljuska, Rüstungsminister Olexander Kamyschin und Umweltminister Ruslan Strilez. Nur Maljuska und Kamyschin waren persönlich in der Obersten Rada erschienen und hatten über ihre Amtszeit Bericht erstattet.
Nicht abgestimmt wurde über den prominentesten Fall: das erst am Morgen eingereichte Entlassungsgesuch von Außenminister Dmytro Kuleba. Gründe für den Rücktritt des ukrainischen Chefdiplomaten wurden zunächst nicht genannt. Schon seit Wochen hatte es jedoch Spekulationen über ein bevorstehendes Ausscheiden Kulebas aus der Regierung gegeben. So hatte ein hochrangiger Mitarbeiter im ukrainischen Präsidialamt kürzlich gegenüber der Nachrichtenagentur AFP die Arbeitsweise des von Kuleba geführten Ministeriums kritisiert.
Kuleba ist seit 2020 im Amt. Der 43-Jährige ist in seiner Heimat äußerst beliebt und international bekannt. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 warb er bei zahlreichen Auslandsreisen um Unterstützung für sein Land und setzte sich für Sanktionen gegen Moskau ein. Ukrainischen Medien zufolge soll Kuleba durch seinen bisherigen Stellvertreter Andrij Sybiga ersetzt werden, einen ehemaligen Vize-Leiter des Präsidialamts. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bedauerte den Rücktritt ihres ukrainischen Kollegen. Es gebe „wenige Menschen“, mit denen sie „so eng zusammengearbeitet“ habe, schrieb sie im Onlinedienst X. „Du stellst die Menschen deines Landes über dich selbst.“
Nicht berührt von den Umbauten sind Schlüsselministerien wie das Finanz-, Innen- und das Verteidigungsministerium. Auch die nach Medienberichten anvisierte Auswechslung von Ministerpräsident Denys Schmyhal durch die bisherige Vizeregierungschefin und Wirtschaftsministerin Julia Swyrydenko scheint vorerst vom Tisch zu sein. Bereits am Vortag waren Rücktrittsgesuche von mehreren Ministern im Parlament eingegangen.
Zum Sinn der Kabinettsumbildung wird spekuliert. Viele nun entlassene Regierungsmitglieder bleiben – wenn auch in anderer Position – voraussichtlich in hohen Ämtern. Kritiker sehen die Umbesetzungen als Aktionismus, um Veränderungen vorzutäuschen. Die anhaltend schwere Lage an der Front und die Probleme bei der Energieversorgung durch die ständigen russischen Angriffe auf die Infrastruktur lassen die Unzufriedenheit der Bevölkerung wachsen.
Selenskyj selbst begründete den Umbau mit einem notwendigen Neustart. „Wir brauchen heute neue Energie“, sagte der Staatschef. Konkret zu den Personalien äußern wollte er sich nicht. Die oppositionelle Parlamentsabgeordnete Iryna Heraschtschenko erklärt nach den Abstimmungen hingegen: „In der Regierung Selenskyj fehlen heute 10 von 21 Ministern. Die Regierung ist faktisch handlungsunfähig.“
Unterdessen gingen die russischen Luftangriffe auf die Ukraine unvermindert weiter. Einen Tag nach einem besonders schweren Angriff mit mehr als 50 Toten im Zentrum der Ukraine meldeten die Behörden am Mittwoch Angriffe in der westukrainischen Stadt Lwiw. Nach Angaben der ukrainischen Staatsanwaltschaft kamen bei dem nächtlichen Beschuss sieben Menschen ums Leben, darunter auch Kinder. Insgesamt wurden nach Angaben der regionalen Militärverwaltung 53 Menschen in Lwiw verletzt.
Im historischen Stadtzentrum seien mehr als 50 Gebäude beschädigt worden, darunter zwei medizinische Einrichtungen und zwei Schulen, teilte das Kultusministerium mit. Laut Regionalgouverneur Maksym Kosyzkyj waren „mindestens sieben architektonisch“ wertvolle Gebäude in der zum Unesco-Weltkulturerbe gehörenden Altstadt betroffen.