Der Weg des Attentäters

von Redaktion

Der Täter unterwegs mit seiner Waffe.

München – Der Terror dauerte zwölf Minuten. In dieser Zeit lief der österreichische Terrorist Emra I. am Donnerstagmorgen durchs Viertel rund um das NS-Dokumentationszentrum, drang in zwei Gebäude ein und lieferte sich einen Schusswechsel mit der Polizei – bei dem er anschließend starb. Die Polizei hat nun den Weg des Täters rekonstruiert.

1. Es ist kurz vor 9 Uhr. Emra I. parkt laut dem Leiter der Abteilung Einsatz der Münchner Polizei, Christian Huber, seinen roten Renault Captur an der Ecke Arcis-/Brienner Straße vor der Musikhochschule (siehe Karte). Kurz danach bemerkt eine Streife Emra I. am NS-Dokumentationszentrum – und notiert einen „waffenähnlichen Gegenstand“. Es ist sein Karabiner, eine Waffe Schweizer Bauart, Modell K 31. Die hatte Emra I. einen Tag vorher von einem Sammler in Österreich gekauft – für 400 Euro. Mit dabei: Ein Bajonett, das er aufgepflanzt hat. Laut Landeskriminalamt-Vize Guido Limmer sind solche Waffen in Österreich „erlaubnisfrei“ zu kaufen.

2. Emra I. läuft zum NS-Dokumentationszentrum. Er schießt dort mit seinem Gewehr zweimal auf die Fassade, beschädigt dabei eine Scheibe am Eingang. Danach geht er hinter der Musikschule Richtung Norden – bis zu einem Gebäude der TU München.

3. An der Rückseite des Gebäudes schießt Emra I. erneut auf ein Fenster. Dann steigt er laut Huber ein, verletzt sich dabei. Blutend läuft er durchs Haus. An der Südseite des Gebäudes gelangt er wieder ins Freie.

4. Der Terrorist versucht laut Huber, über ein Auto den Zaun des Israelischen Generalkonsulats zu überwinden – scheitert aber. Er umgeht den Zaun über die Barer Straße, kommt so vors Generalkonsulat.

5. Emra I. steht vorm Generalkonsulat, schießt dort zweimal auf ein Fenster. Dann läuft er durch den Park südlich des Konsulats zum Acatech-Haus.

6. Dort gelangt der 18-Jährige von hinten ins Haus, läuft vorne wieder raus und biegt am Karolinenplatz gleich links ab – zurück in den Park. Um die Ecke trifft er auf Polizeibeamte. Vier gehörten laut Christian Huber zum Objektschutz des Konsulats, ein fünfter war eben erst hingeschickt worden. Sie fordern Emra I. auf, die Waffe niederzulegen. Er schießt, die Polizisten erwidern das Feuer. Emra I. wird getroffen und sinkt laut Huber zu Boden. „Auch dann versuchte er, auf die Beamten einzuwirken“, sagt er. Zu dieser Zeit ist es 9.12 Uhr.

7. Emra I. stirbt laut Polizei gegen 10.30 Uhr an dieser Stelle. Laut Huber konnten sich die Beamten ihm erst nicht nähern – aus Angst vor Sprengstoff, den er bei sich haben könnte. Erst als dieser Verdacht ausgeräumt ist, kann ein Arzt zu ihm.

Laut Huber schoss Emra I. nach bisherigen Erkenntnissen neun Mal mit seinem alten Karabiner (Hersteller: Eidgenössische Waffenfabrik Bern). Er hatte laut Huber aber bei seinem Terror-Lauf deutlich mehr Patronen dabei. Im Auto habe man eine Packung mit 50 Schuss gefunden. Huber: „Sie war leer“.

Der Karabiner war zwar alt (Bauzeit: 1931 bis 1958), aber durchaus gefährlich. Der K31 hatte „massive Durchschlagskraft“, so Huber. Trotz allem wurden nur zwei Menschen leicht verletzt. Ein Polizist erlitt beim Feuergefecht ein Knalltrauma, ebenso eine Münchnerin.

Jetzt ermitteln Münchner Kripo und die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET). Es wurde die Soko „Karolinenplatz“ mit 50 Beamten gegründet. Laut ZET-Leiterin Gabriele Tilmann war der Österreicher mit bosnischen Wurzeln ein „definitiv allein handelnder Täter“. Laut Ermittlern fuhr er auch allein mit dem Auto von seinem Elternhaus in Neumarkt am Wallersee (Salzburger Land) nach München. Laut Tilmann hatte sich der junge Mann „islamistisch radikalisiert in den letzten Jahren“. 2023 hatte er in drei Onlinespielen eine Fahne der sogenannten Al-Nusra-Front, eines syrischen Ablegers des Terrornetzwerks Al Kaida, benutzt. Laut Polizist Christian Huber spielte er auch das Spiel „Roblox“, dabei wurden „Hinrichtungen nachgestellt“. Tilmanns „Arbeitshypothese“ ist nun, „dass der Täter islamistisch beziehungsweise antisemitisch gehandelt hat“. Dazu passten auch der Tatort – und der Zeitpunkt. Die Tat ereignete sich genau am 52. Jahrestag des Münchner Olympia-Attentats vom 5. September 1972.

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