Polizisten patrouillieren am Generalkonsulat. © dpa
München – Alles an diesem Attentat schockiert, manches überrascht: Der Täter, ein Österreicher mit bosnischen Wurzeln, war gerade 18 Jahre alt, als er am Donnerstagmorgen das israelische Generalkonsulat in München angriff. Offensichtlich hatte er sich so sehr radikalisiert, dass er zum Äußersten bereit war. Trotz seines jungen Alters – oder gerade deswegen?
Emra I. ist jedenfalls kein Einzelfall. Vorfälle mit jungen Tätern beobachte er „seit einiger Zeit mit großer Besorgnis“, sagte der Terrorismusforscher Peter Neumann dem BR. In den letzten zehn Monaten habe es 21 versuchte und sieben durchgeführte Anschläge in Europa gegeben. Etwa zwei Drittel der Terrorverdächtigen, die verhaftet wurden, waren Neumann zufolge jünger als 19.
Der neue Terror, der Europa heimsucht, kommt auch im neuen Gewand daher: Die Täter radikalisieren sich im Stillen, handeln allein – und sie werden jünger. Emra I., der einen Bezug zur militant-islamistischen Miliz „Haiat Tahrir al-Scham“ gehabt haben soll und aus einem islamistischen Motiv gehandelt haben könnte, passt in dieses Muster. Aber warum geraten junge Menschen in die (islamistische) Radikalisierungsspirale?
Im konkreten Fall könnte Corona eine Rolle gespielt haben. Zuvor war Emra I. laut österreichischem Innenministerium ein guter Schüler, zog sich während der Pandemie aber zunehmend zurück. Sein Vater habe ihn als psychisch auffällig wahrgenommen, hieß es. 2023 wurden dann bei einer Hausdurchsuchung Videos mit islamistischen und gewalttätigen Inhalten sichergestellt.
Grundsätzlich sind Motive, die zur Radikalisierung führen können, sehr komplex, sagt Joachim Langner, der sich beim Deutschen Jugendinstitut mit dem Thema beschäftigt. „Junge Menschen suchen Orientierung, Anerkennung, einen Sinn, wollen provozieren. Extremistische Gruppen können ihnen all das bieten“, sagt er. Insofern seien Heranwachsende schon immer anfällig gewesen – aber sie haben heute mehr Gelegenheiten.
Die Sozialen Medien spielten „eine große Rolle“. Früher wurde man am Salafisten-Buchstand angesprochen, heute ist das Netz ein Ort unendlicher Ansprache. „Es fühlt sich für viele persönlicher an, dort in Kontakt zu kommen.“ Dass Radikale aller Couleur, auch Islamisten, Soziale Medien geschickt bespielen, ist inzwischen gut bekannt. Langner zufolge kann auch der Gaza-Krieg eine Rolle spielen. „Internationale Konflikte sind schon immer Ausgangspunkt für Radikalisierung gewesen“, sagt er. Was aktuell in Nahost passiert, sagt er, sei „eine neue Herausforderung bei der Radikalisierung von Jugendlichen“.
Was lässt sich also tun? Terrorismus-Experte Neumann plädiert dafür, Präventionsmaßnahmen und Frühwarnsysteme „viel stärker auf ganz, ganz junge Attentäter auszurichten“. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigt am Freitag an, die bisherigen Präventionskonzepte überprüfen zu wollen – und fordert direkte Konsequenzen. Vor allem eine umfassende Vorratsdatenspeicherung, um die Kontakte von Verdächtigen nach solchen Taten schneller ermitteln zu können.
Neumann beklagt indes eine „riesige Sicherheitslücke“ – und fordert die Einführung einer europäischen Gefährder-Datei. „Wir haben nach wie vor eine Situation, wo die Sicherheitsbehörden nicht nahtlos zusammenarbeiten“, sagt er. „Es müsste eigentlich selbstverständlich sein, dass die bayerischen, die deutschen Behörden wissen, wer die österreichischen Gefährder sind, wer da mit einem Waffenverbot belegt ist.“
MARCUS MÄCKLER