Das Personal-Puzzle der Präsidentin

von Redaktion

Die Spanierin Teresa Ribera soll sich um Umwelt kümmern.

Radikal rechts oder ein „bürgerlicher Konservativer“? Der Italiener Raffaele Fitto. © LUIGI MISTRULLI/dpa

Brüssel/München – Es gibt wunderbare Bilder von Teresa Ribera, sie zeigen eine leidenschaftliche Umweltpolitikerin. Beim Gipfel der EU-Umweltminister in Valladolid im letzten Juli kam die spanische Gastgeberin mit wehendem Haar auf einem gemieteten Fahrrad angestrampelt, vor laufenden Kameras ein Signal für Verzicht, für ehrlichen Einsatz gegen den Klimawandel, für die Verkehrswende. Naja, zumindest bis wenig später die Wahrheit aufflog: Ribera war 100 Meter vor den Kameras, knapp außer Sichtweite, aus ihrer schweren Wagenkolonne gestiegen. Die Autos folgten im Schritttempo. Ach ja, und die 188 Kilometer von Madrid legte die Ministerin, so wurde später berichtet, per Sonderflug zurück.

Die scheinheilige Selbstinszenierung, so was soll ja öfter vorkommen in der Politik, sorgte international kurz für Spott. Doch Riberas Karriere geht steil weiter. Im Frühjahr wurde sie als Spitzenkandidatin der spanischen Sozialisten zur Europawahl nominiert. Und jetzt soll sie eine der mächtigsten Frauen Europas werden. Die 54-Jährige ist von Spanien als EU-Kommissarin nominiert. Sie soll sogar „exekutive Vizepräsidentin“ werden, zuständig für den „sozialen und ökologischen Übergang“.

Da droht nun Streit, und zwar kräftig. Ribera gilt als radikale Verfechterin eines ökologischen Umbaus der Wirtschaft. Sie will den umstrittenen „Green Deal“ aus der letzten Legislaturperiode mit Hochdruck durchsetzen. Das Tempo zu verlangsamen, wie es Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Druck der Konservativen versprochen hat, hält Ribera für „einen riesigen Fehler – es gibt keine Zeit zu verlieren“. Man müsse „noch viel mehr tun“.

Zumindest aus ihrer eigenen EVP-Parteienfamilie ist von der Leyen darauf festgelegt, den wirtschaftsverändernden „Green Deal“ zu entschärfen: kein Verbrenner-Aus, weniger Vorgaben für Landwirtschaft und Industrie, neue Berechnung des Emissionshandels. Ribera wird das keinesfalls mittragen. Ist sie dann die Falsche?

Von der Leyen steht da vor einem schwer lösbaren Problem. Sie hat keine freie Hand beim Personal. Jedes Land schlägt einen Kommissar vor, sie kann nur appellieren. Und darauf hinweisen, dass jeder Kandidat auch eine Mehrheit im EU-Parlament finden muss. So kommt es dazu, dass die für Mittwoch versprochene Zusammensetzung der Kommission politisch sehr bunt wird und auch das Ziel der Parität zwischen Männern und Frauen verfehlt. Bisher haben die Staaten 17 Männer für 27 Posten nominiert, darunter Magnus Brugger (Österreich), Thierry Breton (Frankreich) und Valdis Dombrovskis (Lettland).

Hinter den Kulissen heißt es, von der Leyen arbeite daran, Riberas reale Zuständigkeit möglichst eng zu fassen. Andere Kommissare, etwa für Wirtschaft, Industrie, Wettbewerb, sollen sie einhegen. Zudem will jede Parteienfamilie (Konservative, Liberale, Sozialisten) herausgehobene Posten und muss dafür ungeliebte Personalien schlucken. Ärger gibt es ja nicht nur auf der linken Flanke bei Ribera – auch rechts.

Italien hat Europaminister Raffaele Fitto als Kommissar nominiert, auch er will den Sondertitel eines exekutiven Vizepräsidenten erhalten. Fitto soll Wirtschaft und Corona-Wiederaufbauhilfen verantworten. Da gibt es Murren, weil Italien mit Abstand der größte Nutznießer des milliardenschweren Wiederaufbau-Fonds ist, auf bis zu 200 Milliarden aus Brüssel hofft, einige Projekte aber wohl noch hinterherhinken. Zudem gehört Fitto zur ultrarechten Partei „Fratelli d‘Italia“.

Die Liberalen und die Grünen wettern dagegen, auch Teile der Sozialdemojraten. Einen Fratelli-Mann „als Teil der Führung der Kommission vorzuschlagen, würde den proeuropäischen, demokratischen Zusammenschluss aus dem Juli mutwillig konterkarieren“, sagte die Grünen-Fraktionschefin Terry Reintke der „FAZ“. Man habe von der Leyen unter der Bedingung gewählt, nicht mit radikal Rechten zusammenzuarbeiten.

Was auf Fitto nicht unbedingt zutrifft. Er wird in Brüssel wie Rom als moderat, überzeugt proeuropäisch beschrieben, als seriös und fleißig, in jüngeren Jahren als Regionalpolitiker in Apulien war er Christdemokrat. In EVP-Chef Manfred Weber hat er einen klaren Unterstützer. Fitto sei ein „bürgerlicher Konservativer, der nicht zuletzt für wirtschaftliche Vernunft steht“, sagte Weber unserer Zeitung. „Von seinem Sachverstand wird die kommende Kommission profitieren.“ Der CSU-Politiker verweist auch auf die striktere Zuwanderungspolitik: Italien habe hier „in Zusammenarbeit mit der EU die Zahl der ankommenden Migranten um 64 Prozent reduziert.“

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