Er werde „den Boden mit Kamala Harris wischen“, hatte sich Donald Trump vor der TV-Debatte mit seiner Konkurrentin noch in einer Mail an seine Unterstützer abfällig und großspurig geäußert. Es dauerte dann nur 90 Minuten, um Trump eine Nachricht zukommen zu lassen: Man sollte Politiker nicht von vornherein abschreiben. Denn Harris lieferte, für viele überraschend, ein Meisterstück ab. Die Demokratin zeigte sich kompetent, faktenstark, gut vorbereitet und schlagfertig – und dürfte in den verbleibenden knapp zwei Monaten bis zur Wahl von ihrer Performance profitieren. Was für ein Unterschied zum bedauernswerten Auftritt Joe Bidens im Juni, der zum Wechsel des Kandidaten führte! Es war ein Pokerspiel, das sich bisher bezahlt gemacht hat. Allen, die mit dem Gedanken spielen, für Harris zu stimmen, dürfte die Entscheidung nun leichter fallen. Kein Wunder, dass die Demokraten schnell eine zweite Debatte wollen.
Für Trump war es hingegen die Debatte der verpassten Chancen. Der Republikaner verfiel immer wieder ins Schwadronieren und in düstere Visionen – und verbrauchte wertvolle Zeit, die für klare Argumente besser genutzt worden wäre. Mehrfach fiel er geschickten, legitimen Provokationen seiner Gegnerin zum Opfer – wie bei der Behauptung, Trump-Fans würden sich bei dessen Auftritten langweiligen. Erst bei seiner Schlussbemerkung stellte er die entscheidende Frage: Warum hat die nach Präsident Biden zweitmächtigste Politikerin im Land nicht schon längst all das getan, was sie nun sagt.
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