Der Schein trügt: Das Verhältnis zwischen Ursula von der Leyen und Thierry Breton war schon seit Längerem ein ziemlich belastetes. © Frederick Florin/AFP
München/Brüssel – An einem geräuschlosen Abgang war Thierry Breton nicht sonderlich gelegen. Der 69-Jährige, der vor seiner zweiten Amtszeit als EU-Kommissar stand, veröffentlicht am Montag auf der Online-Plattform „X“ einen leeren Bilderrahmen, über den er die Zeilen schrieb: „Mein offizielles Porträt für die nächste Amtszeit der Europäischen Kommission.“ Die prompte Erklärung dazu liefert ein Schreiben des Franzosen an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Ich trete mit sofortiger Wirkung von meinem Amt als Europäischer Kommissar zurück“, erklärt Breton in dem Brief an die Deutsche. Seine Begründung: „Vor einigen Tagen, in den letzten Zügen der Verhandlungen über das zukünftige Kollegium, haben Sie Frankreich gebeten, meinen Namen zurückzuziehen – aus persönlichen Gründen, die Sie zu keinem Zeitpunkt mit mir persönlich besprochen haben.“ Er wirft von der Leyen vor, Frankreich im Gegenzug „ein angeblich einflussreicheres Ressort“ in der neuen Kommission angeboten zu haben. Dies sei „ein weiteres Zeugnis für einen fragwürdigen Führungsstil“, lautet der giftige Abschiedsgruß des Franzosen.
Breton – dessen Verhältnis zu von der Leyen seit Langem schon als sehr angespannt galt – war Vorstandsmitglied in großen Unternehmen, er war französischer Finanzminister und in von der Leyens erster Amtszeit bis gestern EU-Kommissar für Binnenmarkt und Industriepolitik. Als solcher setzte er sich unter anderem für eine stärkere Regulierung großer Digitalkonzerne wie Google, Apple oder Meta ein. Zuletzt lieferte er sich eine Auseinandersetzung mit Tech-Milliardär und „X“-Eigentümer Elon Musk. Und aus europäischen Hauptstädten gab es immer wieder Beschwerden, der eigentlich zur Unabhängigkeit verpflichtete Kommissar Breton hätte vor allem die wirtschaftspolitischen Interessen seines Heimatlandes im Blick. Kurzum: Er gilt eigentlich nicht unbedingt als der Typ, der wegen einer machtpolitischen Unsportlichkeit sofort schockiert die Brocken hinwirft. Auch deshalb deutet einiges darauf hin, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ihn tatsächlich fallen gelassen haben könnte. Paris hat am Montag bereits seinen amtierenden Außenminister Stéphane Séjourné als Ersatz vorgeschlagen. Eine Rochade, die Macron auch innenpolitisch nützlich erscheinen könnte, weil das frei werdende Ressort neue Türen bei der eigenen Regierungsbildung öffnet.
Doch selbst wenn von der Leyen diesen Machtkampf bewusst geführt und gewonnen haben sollte, wirft Bretons öffentlichkeitswirksamer Abgang erneut ein breites Schlaglicht auf ihre Probleme bei der Besetzung der Kommission, die heute präsentiert werden soll und am Ende vom EU-Parlament bestätigt werden muss. Die Kommissionspräsidentin hatte von den Mitgliedstaaten ursprünglich verlangt, je einen Mann und eine Frau ins Rennen zu schicken. An diese Vorgabe hielt sich mit Bulgarien allerdings nur ein einziges der 27 Länder. In der Folge wurde versucht, nachzusteuern. Slowenien etwa nominierte auf Druck der Kommissionschefin kurzfristig noch die frühere Botschafterin in Deutschland, Marta Kos, anstelle eines Mannes nach. Auch die von Breton beschriebene Praxis wirkt bekannt. Die Zeitung „Times of Malta“ hatte schon Ende August berichtet, dass von der Leyen Malta vorgeschlagen habe, statt dem früheren Büroleiter des Regierungschefs die aktuelle maltesische Kommissarin erneut zu nominieren. Im Gegenzug könnte diese ein attraktiveres Ressort bekommen, soll es auch damals geheißen haben.
Zur Geschlechterparität hat es bisher dennoch nicht gereicht. Aktuell könnten der neuen Kommission elf Frauen und 16 Männer angehören, die deutsche Chefin eingerechnet – immer noch eine Frau weniger als zu Beginn ihrer ersten Amtszeit. Dass mit dem Italiener Raffaele Fitto zudem ein Politiker der rechten Fratelli d‘Italia das prestigeträchtige Wirtschaftsressort erhalten soll, macht die Konstellation für von der Leyen nicht einfacher.