Stefinger: „Ich hatte großes Glück“

von Redaktion

Es waren niederschmetternde Neuigkeiten: Mit 39 wird beim Münchner Abgeordneten Wolfgang Stefinger Schilddrüsenkrebs diagnostiziert. Nach halbjährigem Kampf meldet er sich nun zurück – mit 100 Prozent bei der Aufstellungsversammlung.

Zurück im Wahlkreis: Der vom Krebs genesene Abgeordnete Wolfgang Stefinger (CSU) bei einem Kaffee am Wiener Platz in München Haidhausen. © Astrid Schmidhuber

München – Es ist der 14. Mai, als sich Wolfgang Stefinger auf unbestimmte Zeit verabschiedet. Eben noch hat der CSU-Bundestagsabgeordnete des Münchner Ostens die Truderinger Festwoche absolviert. Dann folgt ein Arzttermin – eigentlich nur eine lästige Routineuntersuchung nach einem kleinen Hörsturz zum Jahreswechsel. Doch die Diagnose ist brutal. Also tippt Stefinger eine kurze Nachricht für die Sozialen Netzwerke. „Bei mir wurde Schilddrüsenkrebs diagnostiziert“, schreibt er. In den nächsten Tagen werde er sich in stationäre Behandlung begeben. „Die kommenden Wochen muss ich etwas kürzertreten. Ich bin sicher, dass ich mich bald wieder mit voller Kraft meinen Aufgaben widmen kann.“ Dann verschwindet der 39-Jährige von der Bildfläche. Interviews will er erst später geben, schreibt er per SMS. Wenn alles wieder gut ist.

Fast auf den Tag genau vier Monate später sitzt Stefinger in einem Café am Wiener Platz, mitten in seinem Wahlkreis. Zum Interview. Es ist alles wieder gut. Vergangene Woche ist er in den Bundestag zurückgekehrt. Die erste Parlamentswoche, gleich mit Haushaltsberatungen. Am Wochenende dann die Aufstellungsversammlung für die nächste Wahl. 100 Prozent. „Da ist man nach diesen Monaten schon sehr dankbar.“

Stefinger sitzt nur wenige hundert Meter von dem Ort entfernt, der in „diesen Monaten“ sein Leben bestimmt hat. Dem Klinikum rechts der Isar. „Es war ein Zufallsbefund“, sagt er rückblickend. Der Krebs ist schon fortgeschritten. Nur Tage nach der Diagnose erfolgt die Operation. „Ich hatte von der ersten Minute großes Glück.“ Der Politiker kennt die Debatten über das Gesundheitswesen aus dem Bundestag. Jetzt betreibt er „unfreiwillig Feldforschung“, wie er mit einem Augenzwinkern sagt. „Wir können uns schon sehr, sehr glücklich schätzen über die tolle Arbeit, die da gerade in den Universitätskliniken geleistet wird.“

Die Operation verläuft gut. Nach ein paar Wochen folgt eine Radio-Jod-Therapie. Für Nichtmediziner: Man nimmt eine kleine Kapsel, die radioaktives Jod enthält. Wenn sich die Kapsel im Magen auflöst, entsteht Strahlung, die mit dem Jod über die Blutbahn in die Schilddrüse gelangt – und dort die noch verbleibenden Krebszellen zerstört.

Stefinger muss in Quarantäne

„Man muss dann auf eine Isolierstation, weil man radioaktiv strahlt“, berichtet Stefinger. „Das habe ich Gott sei Dank sehr gut vertragen, und es hat auch sehr schnell angeschlagen.“ Wieder daheim muss er wegen der Strahlung erst in Quarantäne, später darf er sich keinen Schwangeren und Kindern nähern. Ein Rückfall wie in die finstersten Corona-Zeiten.

Harte Tage. Aber: „Ich war überrascht, wie viele Menschen sich gemeldet haben“, erzählt er. „Auch Jüngere, die von ihren eigenen Erfahrungen berichtet haben.“ Viele Kollegen, auch von anderen Parteien, schreiben. Auch etliche Münchner Bürger. „Das hat in dieser Situation sehr gutgetan und mich wirklich berührt. Ein schöner Kontrast zu den nicht immer angenehmen Situationen an Infoständen.“ Stefinger beantwortet alles. Er hat ja Zeit.

Stefinger ist kein typischer CSU-Abgeordneter. Er ist liberaler als die meisten, sein Schwerpunkt ist die Entwicklungspolitik. Im Januar 2023 outet er sich als schwul. Mehr noch: Mit dem CDU-Abgeordneten Sepp Müller bildet er das erste schwule Abgeordnetenpaar bei den Konservativen. Seinen Wahlkreis gewinnt er immer sicher – für CSUler in München keine Selbstverständlichkeit.

Der 39-Jährige macht das, was Politiker am wenigsten können. Er nimmt sich komplett raus. Bis heute ist die Nachsorge nicht abgeschlossen. „Was ich vorher nicht wusste: Die Schilddrüse ist unser Antriebsorgan. Wenn man die nicht mehr hat, ist nicht nur der Stoffwechsel durcheinander. Ich habe noch nie in meinem Leben so viel geschlafen.“ Der Berliner Betrieb dreht sich in dieser Zeit weiter. „Das hilft mir künftig hoffentlich, meine Prioritäten besser zu setzen.“ Seit letzter Woche ist er zurück. Es habe sich ein bisschen angefühlt wie am ersten Schultag.

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