Für einen, dessen Temperament Kritiker gern als „aufbrausend“ beschreiben, hat Friedrich Merz im Kandidatenrennen der Union starke Nerven und beträchtliches Geschick bewiesen: Kraftmeiereien aus München hat er weggelächelt, Sticheleien aus Düsseldorf ignoriert. Am Ende war ihm die Kanzlerkandidatur nicht mehr zu nehmen. Ganz ohne Drama aber geht es in der Union einfach nicht: Dass sich der (eigentlich längst chancenlose) Dritte im Unions-Bewerbertrio, Hendrik Wüst, am Montag überraschend als „Königsmacher“ inszenierte und vermeintlich großzügig seinen Verzicht zugunsten von Merz verkündete, hat CSU-Chef Söder erkennbar gewurmt. Stand er tags darauf doch plötzlich als Entscheider von Gnaden des NRW-Ministerpräsidenten da.
Ob Söder nach seinem großen Indianer-Ehrenwort das Ganze jetzt wirklich „ohne Zähneknirschen“ schluckt und sich brav einreiht, muss sich noch zeigen. Auch wenn er gestern gute Miene machte: Söder ist mächtig sauer. Hatte er doch stets darauf bestanden, dass er und Merz die Sache unter sich regeln. Dass Wüst seinen Verzicht jetzt noch mit dem Wort „aktuell“ garnierte und damit auch noch künftige Ambitionen andeutete, erboste den Bayern noch mehr. Wie sehr er seinem Düsseldorfer Landeschef-Kollegen die Sache nachträgt, ließ Söder gestern mit der spitzen Bemerkung durchklingen, es gebe „viele Ministerpräsidenten, aber nur zwei Parteivorsitzende in der Union“. Doch weiß auch der CSU-Chef, dass nun nicht die Zeit für weitere Querschüsse ist. Der bayerische Löwe muss, auch um in der eigenen Partei keinen Ärger zu riskieren, erst mal schnurren.
Gut zwei Jahrzehnte nach seiner Entmachtung durch Angela Merkel ist der 68-jährige Merz die bestimmende Figur in der deutschen Politik: Er hat der Altkanzlerin die CDU entwunden und auf konservativeren Kurs gebracht, er setzt in der Migrationsdebatte den Ton und treibt die Ampel vor sich her. Wer hätte das gedacht nach seinen bitteren Schlappen 2018 gegen Annegret Kramp-Karrenbauer und 2020 gegen Armin Laschet? Doch wurden auch Helmut Kohl und Christian Wulff einst erst durch Niederlagen gestählt. Nicht alle mögen Merz, die Reizfigur aller Linken und Grünen, aber viele respektieren ein Kämpferherz und eisernen Durchhaltewillen. In dieser Form muss ihn jeder Gegner fürchten, sogar SPD-Liebling Boris Pistorius, sollte die SPD es mit Olaf Scholz machen wie die US-Demokraten mit Joe Biden. Käme es tatsächlich so, hätte allerdings vor allem die AfD Grund zur Sorge. Ihr haben es die Etablierten lange Zeit viel zu leicht gemacht.
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