Tschüss Olaf? OB Dieter Reiter (re.) mag den Kanzler nicht mehr an der Spitze sehen. © dpa
München – Er konnte sich den Seitenhieb einfach nicht verkneifen. Es ist kaum ein halbes Jahr her, da saß Kevin Kühnert beim Interview mit dem „Stern“ und prahlte, dass die SPD allzeit bereit für den Bundestagswahlkampf sei – und zwar mit Olaf Scholz an ihrer Spitze. Man warte nur pro forma auf den Sommer, um dann den „Schalter offiziell umzulegen“, sagte der Generalsekretär. Überraschungen werde es nicht geben, versprach er, denn bei den Genossen herrsche ja „personelle Klarheit“. Und schob dann frech nach: „Grüße an dieser Stelle an die Union!“
Das Interview ist nicht gut gealtert. Der Sommer ist rum. Die Union hat noch vor der SPD die K-Frage geklärt – gestern haben CDU und CSU verkündet, mit Friedrich Merz ins Rennen zu gehen (siehe Seite 3). Am selben Tag macht Münchens SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter bundesweit Schlagzeilen, weil er offenbar doch noch einen Kandidaten Scholz verhindern will. Und lieber den Verteidigungsminister auf dem Kanzlerstuhl sehen würde.
„Wenn jemand wie Boris Pistorius ein solches Ansehen hat, muss die SPD auch darüber nachdenken, ob er die beste Wahl für die Kanzlerkandidatur ist“, sagt Reiter dem Berliner „Tagesspiegel“. Er bemüht sich, nicht zu offensiv zu klingen. Die Entscheidung liege „bei keinem anderen als Olaf Scholz selbst“. Doch tatsächlich ist sein Vorgehen nichts anderes als die Revolte eines Sozialdemokraten, der seinem Kanzler nichts mehr zutraut. Ungewöhnlich vor allem, dass der Münchner OB seine Bedenken ohne Umwege gleich in die Hauptstadt streut. Reiter sucht selten die bundespolitische Bühne. Eine Anfrage unserer Zeitung hat er abgelehnt.
Der OB eskaliert mit voller Absicht. Er habe den Eindruck, dass Scholz „eigentlich immer zu lange braucht, um zu entscheiden, und dass er seine Entscheidungen kaum bis gar nicht erklärt“. Pistorius hingegen, der habe eine „deutliche, verständliche Sprache“. Glaubt man dem OB, dann ist der Verteidigungsminister so etwas wie der Held der Sozialdemokraten. „Er sagt, was er denkt, und er kämpft. Das macht ihn authentisch. Bei ihm weiß man, was er will“, sagt Reiter. Solche Qualitäten suchten die Menschen in einem Kanzler.
In Umfragen ist Pistorius der beliebteste Politiker Deutschlands. Mit Abstand. Dagegen müsste Scholz bei den Bürgern noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten: Gut zwei Drittel lehnen ihn als Kanzlerkandidaten ab (YouGov für „SZ“). Nur 20 Prozent wollen, dass er noch mal antritt. Selbst bei den SPD-Wählern sprechen sich 60 Prozent gegen den Kanzler aus und nur 31 Prozent für ihn.
Das Tief des Kanzlers hat man in Brandenburg längst registriert. Deshalb soll sich Scholz auch aus der Landtagswahl an diesem Sonntag raushalten. SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke hat klargemacht, dass er den Kanzler im Wahlkampf nicht gebrauchen kann: Auf gemeinsame Auftritte verzichtet der Regierungschef, und auch auf Wahlplakaten ist nur Woidkes Gesicht zu sehen. „Manchmal bin ich wirklich froh, wenn ich von der Bundesregierung mal ein paar Tage nichts höre“, hat er kürzlich erklärt. Wobei: Boris Pistorius, auch Regierungsmitglied, war gestern als prominente Unterstützung im Wahlkampfendspurt in Potsdam herzlich willkommen.
Woidkes Distanz zu Scholz ist insofern bemerkenswert, als dass der Kanzler selbst seit 2021 im Bundestag den brandenburgischen Wahlkreis Potsdam-Mittelmark I vertritt. Davor war Scholz Erster Bürgermeister von Hamburg, wo er auch einen kurzen Draht zu OB Reiter gehabt haben dürfte – 2021 haben die beiden noch gemeinsam Wahlkampf in München gemacht. „Olaf Scholz kann’s! Er weiß, wie man regiert“, hatte Reiter tausenden Münchnern auf dem Marienplatz zugerufen.
Inzwischen hat er seine Meinung geändert. Generell bröckelt in der Partei der Rückhalt für Scholz. Auch Ex-Parteichef Franz Müntefering hatte letzte Woche gesagt: Die K-Frage sei in der SPD „noch nicht beantwortet“. Gleichzeitig gab es (mal wieder) viel Lob für Pistorius. Immerhin der soll auf der Seite des Kanzles stehen. Pistorius wolle, „wie viele andere, dass ich wieder als Kanzler antrete“, beteuerte Scholz zuletzt. Fragt sich nur, wie viele andere da noch sind.