Wut der Islamisten: Hisbollah-Mitglieder tragen die Särge von zwei Kameraden, die am Mittwoch durch Explosionen ihrer Funkgeräte getötet wurden. © Hussein Malla/dpa
Beirut/Tel Aviv – Nach einer offensichtlich koordinierten Attacke auf technische Geräte der Hisbollah mit mindestens 37 Toten und mehr als 3000 Verletzten besteht die Sorge vor einem großen Angriff der libanesischen Miliz auf Israel. Nach den Explosionen Hunderter Pager und Funkgeräte, hinter denen Militär- und Geheimdienstexperten Israel vermuten, könnte die Hisbollah erneut Ziele in dem verfeindeten Nachbarland angreifen.
Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah räumte einen „schweren Schlag“ gegen seine Miliz ein. Er sagte am Donnerstagabend in einer Rede, Israel habe mit den Explosionen „alle roten Linien überschritten“ und „nicht weniger als 5000 Menschen töten“ wollen. „Dieser kriminelle Akt kommt einer Kriegserklärung gleich“, sagte er.
Die Hisbollah greift seit Beginn des Gaza-Kriegs vor fast einem Jahr Ziele in Israel an, nach eigener Aussage aus Solidarität mit der islamistischen Hamas. Sie will die Angriffe erst bei einer Waffenruhe zwischen der Hamas und Israel einstellen. Der fast tägliche Beschuss hat sich zu einem niedrigschwelligen Krieg entwickelt. Im Libanon wurden etwa 600 Menschen getötet, die meisten davon Hisbollah-Mitglieder. In Israel kamen offiziellen Angaben zufolge 46 Menschen durch die Angriffe der schiitischen Miliz ums Leben, darunter Soldaten, aber auch viele Zivilisten.
Bei einem möglichen größeren Angriff der Hisbollah auf Israel würde die ranghohe Führung der Miliz eine „gemäßigte Vergeltung“ wählen, sagte David Wood, Libanon-Experte der Crisis Group. „Diese Haltung deckt sich mit der bewährten Herangehensweise der Hisbollah: den Druck auf Israel erhalten bis zu einer Waffenruhe in Gaza und zugleich die Risiken eines voll umfassenden Kriegs im Libanon gering halten.“
Bei der Wahl ihrer Reaktion steht die Hisbollah – mit schätzungsweise 150 000 Raketen der stärkste nichtstaatliche Akteur in der Region – erneut vor einem Dilemma. Sie will das Prinzip der Abschreckung gegenüber dem Erzfeind Israel erhalten, ist zu einem so komplexen Angriff wie mit explodierenden Pagern und Funkgeräten aber nicht fähig. Bis sie einen ihrer Ansicht nach angemessenen Angriff auf Israel beginnt, könnten deshalb Wochen vergehen. Auf die Tötung ihres Militärkommandeurs Fuad Schukr reagierte sie militärisch erst einen Monat später.
Die in den 1980er-Jahren gegründete Hisbollah („Partei Gottes“) verfügt ihrem Generalsekretär Nasrallah zufolge über 100 000 Mitglieder. Andere Schätzungen sprechen dagegen eher von halb so vielen Kämpfern. Sie hat großen politischen und wirtschaftlichen Einfluss. Die Hisbollah will einen neuen großen Krieg mit Israel wie zuletzt 2006 aber vermeiden.
Israels Verteidigungsminister kündigte eine „neue Phase“ des Kriegs an. „Der Schwerpunkt verlagert sich nach Norden“, sagte Joav Galant. „Wir stellen Kräfte, Ressourcen und Energie für den nördlichen Bereich bereit“. Die Armee sei dabei, „Hisbollah-Ziele im Libanon anzugreifen, um die terroristischen Fähigkeiten und die Infrastruktur“ der Gruppe zu schwächen, hieß es in einer am Donnerstagnachmittag verbreiteten Erklärung. Der Einsatz sei Teil der Bemühungen, die Rückkehr von Israelis zu ermöglichen, die vor den seit Monaten andauernden Hisbollah-Angriffen auf den Norden Israels geflohen waren.
Die israelische Armee hat zudem Zivilisten dazu aufgerufen, sich am Wochenende von militärischen Übungsgebieten im Norden des Landes fernzuhalten. Das Militär werde dort „Aktivitäten“ ausführen, für Unbefugte herrsche daher Lebensgefahr. „Es ist möglich, dass in nahegelegenen Ortschaften Schüsse und Explosionen zu hören sein werden“, hieß es weiter in der Mitteilung. Die genaue Bedeutung war unklar. Im Libanon herrscht die Sorge, Israel könnte eine Bodenoffensive im Süden des Landes vorbereiten.