Woidke will es wissen

von Redaktion

Auf die Hilfe des Kanzlers verzichtet er fast vollständig, sein eigenes Schicksal verbindet er mit einer Drohung: Dietmar Woidke will nach der Landtagswahl in Brandenburg abtreten, wenn seine SPD nicht wieder stärkste Kraft wird. Über einen, der seine Partei fast im Alleingang an der Macht halten könnte, aber dafür ein hohes Risiko eingeht.

Der Hinweis auf die SPD fehlt: Brandenburgs Sozialdemokraten haben den Wahlkampf komplett auf Ministerpräsident Dietmar Woidke zugeschnitten. © dpa/Jens Kalaene

München – Dietmar Woidke ist in diesem Wahlkampf nicht zu übersehen. Das fängt an bei seiner Körpergröße, 1,96 Meter, die für die Brandenburger SPD sinnbildlich steht für die herausragende Bedeutung ihres Ministerpräsidenten. „Brandenburg braucht Größe“, ließen sie auf eines ihrer Plakate drucken. Auch sonst ist der Spitzenkandidat überaus präsent. Zwei Dutzend „Strohballenfeste“ hat er in den vergangenen Wochen besucht, fast alle auf dem platten Land. Ach ja, und dann gibt es noch ein Magazin, eigens zur Wahl produziert, in siebenstelliger Auflage. Es heißt „Woidke“.

Was seine Partei betrifft, ist die Sache etwas komplizierter. Auf einem der Plakate steht der bezeichnende Slogan „Wer Woidke will, wählt SPD“. Das klingt nicht nur so, als sei in Brandenburg der Mann größer als die Partei, das gibt aktuell wohl auch die tatsächlichen Verhältnisse wieder. Aber immerhin taucht die SPD auf diesem Bild noch auf. Bei anderen Motiven hat sich Woidkes Team jeden Hinweis auf die Sozialdemokraten verkniffen.

Woidke, 62, promovierter Agraringenieur, tritt auf, als wolle er die SPD fast im Alleingang an der Macht halten. Dass ein Wahlkampf komplett auf den Spitzenkandidaten zugeschnitten ist, mag normal sein, doch so rigoros wie in Brandenburg geschieht es selten. Das geht so weit, dass Woidke auf Wahlkampfauftritte des Bundeskanzlers fast vollständig verzichtete. Und das, obwohl Olaf Scholz Wohnort und Bundestags-Wahlkreis in der Landeshauptstadt Potsdam hat.

Dass von der Ampel kein Rückenwind zu erwarten ist, haben neulich schon die Wahlkämpfer in Thüringen und Sachsen erfahren müssen. Woidkes Position ist immerhin komfortabler. Seit 1990 regiert die SPD in Brandenburg, er ist in dieser Zeit erst der dritte Ministerpräsident nach Manfred Stolpe und Matthias Platzeck. Er könnte auch über den Sonntag hinaus ziemlich sicher in der Staatskanzlei bleiben, denn mit der AfD will niemand koalieren, aber so leicht macht er es sich nicht. Sollte die SPD nicht stärkste Kraft werden, will Woidke auf jeden Fall zurücktreten.

Das Risiko ist beträchtlich. Die jüngsten Umfragen sehen die SPD hinter der AfD. Der Rückstand ist zuletzt allerdings auch merklich geschrumpft, und Woidke erinnert an 2019, als die SPD auf den letzten Metern noch an der Rechtspartei vorbeizog. Am Ende werde das Land den bewährten Kräften vertrauen, glaubt er. Ein Plakatmotiv lautet dann auch: „Wenn Glatze, dann Woidke.“

Kein anderer Politiker in Brandenburg erreicht annähernd seine Beliebtheitswerte. Woidke, selber auf einem Bauernhof aufgewachsen, ist pragmatisch, volksnah und bodenständig, trotz 1,96 und Doktortitel ist die vielzitierte Augenhöhe bei ihm kein Klischee. Zugutehalten ihm die Brandenburger auch, dass er dem nahegelegenen Berlin und der großen Politik mit Distanz begegnet. Er erstritt erhebliche Fördermittel des Bundes für die Braunkohlereviere im Süden des Landes, sperrte sich gegen einen vorzeitigen Ausstieg aus der Kohleverstromung und bewegte trotz ökologischer Bedenken den E-Auto-Riesen Tesla zum Bau einer „Gigafactory“. Woidkes Versprechen, sämtliche 66 Kliniken im Land erhalten zu wollen, ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was Gesundheitsminister Karl Lauterbach anstrebt.

Für den Bundeskanzler ist der Wahlsonntag, den er bei der UN in New York verbringt, ein undankbarer Termin. Scholz steckt in einer LoseLose-Situation. Gewinnt die SPD die Wahl, werden die Analysten das auf die radikale Distanzierung von der Bundesregierung zurückführen. Landet sie hinter der AfD, wird die Machtposition des Kanzlers weiter bröckeln.

Woidke spricht von der „größten politischen Herausforderung meines ganzen Lebens“. Hilfe kommt, wenn schon nicht aus Berlin, so doch aus unerwarteter Richtung. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU wünschte ihm neulich den Wahlsieg. Demokraten, argumentierte er, müssten zusammenhalten.

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