Hin und her: Eine israelische Sicherheitskraft sichert ein Gelände in der Gegend von Haifa ab, das von der Hisbollah beschossen worden sein soll. © Jack Guez/AFP
Beirut/Tel Aviv – Elf Monate bereits beschießen sich Israel und die Hisbollah im Libanon nahezu täglich. Es ist eine ständige Abfolge wechselseitiger Angriffe entlang der libanesisch-israelischen Grenze: Feuert die Hisbollah Raketen auf den Norden Israels, antwortet Israel mit Luftschlägen zumeist im Süden des Libanon – und umgekehrt. Auf beiden Seiten wurden dabei Menschen getötet, Zehntausende Einwohner auf beiden Seiten der Grenze mussten das Gebiet verlassen. In einen umfangreichen offenen Krieg artete der Beschuss trotz allem nicht aus.
Bislang – denn diese fragile Balance wurde diese Woche durch israelische oder Israel zugeschriebene Angriffe im Libanon auf eine harte Probe gestellt. Erst explodierten am Dienstag im Libanon tausende Pager, am Mittwoch dann Dutzende Funkgeräte, die Hisbollah-Mitglieder zur Kommunikation nutzten. Am Freitag griff das israelische Militär ein Treffen von Hisbollah-Mitgliedern in einem Vorort von Beirut an – zwei siebenstöckige Gebäude kollabierten dabei.
Hunderte Hisbollah-Mitglieder dürften mit den Explosionen der technischen Geräte in den vergangenen Tagen außer Gefecht gesetzt worden sein. Selbst Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah gestand ein, diese hätten der Miliz einen herben Schlag verpasst. Beobachter allerdings sehen die Miliz nicht als handlungsunfähig. Laut Mohanad Hage Ali vom Carnegie Middle East Center ist die Hisbollah keine zentralisierte Organisation. Vielmehr würden ihre Einheiten, ähnlich wie die der Hamas im Gazastreifen, autonom Angriffe gegen Israel ausführen.
Ein der Hisbollah nahestehender Analyst sagt, die Hisbollah müsse sich nach den schweren Schlägen nicht neu sortieren. Sie sei weiter kampfbereit, die Angriffe hätten „keinen Einfluss“ auf die Sicherheits- und die Militärinfrastruktur gehabt, so Kassim Kassir.
Experten sehen die Hisbollah unter Zugzwang. Hisbollah-Chef Nasrallah erklärte am Donnerstag, die Angriffe kämen einer Kriegserklärung gleich, Vergeltung sei garantiert. Der Analyst Kassir bewertet die Lage als durchaus kritisch. „Wir stehen vor einer offenen Eskalation, und alles ist möglich“, sagt er.
Auch Hage Ali sieht die Notwendigkeit einer Reaktion der Hisbollah. Seiner Ansicht nach jedoch stehen die Zeichen trotz allem insgesamt auf „Konfliktvermeidung“, so der Experte. „Ich bezweifle, dass die Hisbollah in einer Weise reagiert, die eine größere israelische Operation auslösen wird“, sagt er. Die Miliz wolle der Regierung in Jerusalem keinen Vorwand liefern.
Zuletzt, nach der Tötung des hochrangigen Hisbollah-Führers Fuad Schukr durch Israel Ende Juli, habe die Hisbollah Hunderte Raketen auf Israel abgefeuert, die großteils abgefangen worden seien, sagt Hage Ali. Die Hisbollah könnte nun ähnlich reagieren, etwa mit Angriffen in der Nähe von wichtigen Militärbasen. Am Morgen erst teilte die Miliz mit, sie habe ein israelisches Rüstungsunternehmen und den israelischen Militärstützpunkt Ramat David, beide nahe der Hafenstadt Haifa, angegriffen. Große zivile Ziele scheint sie bei ihren Attacken weiterhin zu vermeiden.
Israel besitzt nachrichtendienstlich und technologisch großen Vorsprung vor der Hisbollah. Das Land gilt auch militärisch als überlegen. Einige Stimmen in Israel pochen auf einen begrenzten Einsatz von Bodentruppen im Südlibanon, um eine Pufferzone zu etablieren. Manche Beobachter in Israel warnen jedoch, dass die Armee den viel kleineren Feind Hamas im Gazastreifen bislang nicht besiegt habe und ein zweiter Krieg Militär und Bevölkerung erschöpfen könnte.