Was Israel im Libanon erreichen will

von Redaktion

Lang blieb der Beschuss zwischen Israel und der Hisbollah in begrenztem Rahmen. Für viele Libanesen fühlen sich die Angriffe nun wie ein neuer Krieg an. Gute Optionen bleiben der Hisbollah kaum.

Rettungskräfte sind im Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut im Einsatz. Gestern führte Israels Armee dort gezielte Luftschläge durch. © AFP

Beirut/Tel Aviv – Nach heftigen Bombardements durch israelische Kampfflugzeuge mit hunderten Toten und Verletzten werden im Libanon grauenvolle Erinnerungen wach. Israels Militär hat den Druck auf die Schiitenmiliz Hisbollah immer weiter erhöht und nun auch schwere Angriffe im Süden und Osten des Nachbarlandes geflogen. Gestern führte die Armee einen „gezielten Angriff in Beirut“ aus.

Dahinter steckt ein klares Ziel. Die Hisbollah beschießt Israel seit Beginn des Gaza-Kriegs vor fast einem Jahr. Die Folge: 60 000 Einwohner des israelischen Nordens mussten ihre Wohnorte verlassen. Israel will jetzt einen Rückzug der Hisbollah von der Grenze erreichen und die Rückkehr seiner Bürger ermöglichen. Die rechtsreligiöse Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu steht wegen der Situation im Norden intern massiv unter Druck. Es gibt aber keine Anzeichen, dass die Hisbollah sich dem Druck des israelischen Militärs beugt. Die „New York Times“ berichtet, Israel habe gehofft, die Miliz durch die Angriffe zu verunsichern und zum Rückzug zu zwingen. Bisher scheint aber das Gegenteil der Fall zu sein.

Mit rund 170 000 Soldaten und 460 000 Reservisten ist Israels Militär zwar stärker als die Hisbollah, die 50 000 Kämpfer zählt. Israels Kampfflugzeuge, Panzer und andere modernen Waffensysteme wären der Schiitenmiliz im konventionellen Kampf klar überlegen. Die Hisbollah hat aber ein massives Raketenarsenal und setzt auf Formen der irregulären Kriegsführung. Bei einer israelischen Bodenoffensive in den Bergregionen des Südlibanon würde sie den Soldaten etwa durch Hinterhalte wohl stark zusetzen. Sie soll zudem wie die Hamas in Gaza über ein umfassendes Tunnel-Netzwerk verfügen und kann vom Iran über Syrien und den Irak Nachschub an Waffen erhalten.

Auch wenn nach wie vor weder Israel noch die Hisbollah an einem großen Krieg interessiert zu sein scheinen: Für viele Menschen im Libanon fühlt es sich spätestens seit den israelischen Angriffen mit mehr als 500 Toten und 1800 Verletzten wie Krieg an. Luftangriffe auf hunderte Gebäude im Süden und Osten, schwere Explosionen, Trümmer und überfüllte Krankenhäuser lassen Erinnerungen an den großen Krieg 2006 wach werden.

Der zweite Libanon-Krieg dauerte einen Monat und endete mit einer von den Vereinten Nationen vermittelten Waffenruhe. Damals wurde eine Art Pufferzone im Südlibanon eingerichtet. Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates verbot die Präsenz von Hisbollah-Kämpfern südlich des Litani-Flusses, im Grenzgebiet zu Israel. Stattdessen sollte das libanesische Militär im Südlibanon stationiert werden. Die israelischen Truppen wiederum mussten sich hinter die als Blaue Linie bekannte Grenze zurückziehen. Hisbollah-Kämpfer kehrten aber nach und nach zurück.

Israels Armee dürfte ihre Luftangriffe vorerst fortsetzen oder gar ausweiten. Die Hisbollah, die seit Juli ihre stärksten Verluste seit Langem erlitten hat, muss nun abwägen. Sie kann ihre Angriffe fortsetzen, um die Abschreckung gegenüber Israel zu erhalten, riskiert aber neue schwere Verluste. Oder sie beugt sich dem Druck und zieht sich von der Grenze zurück. Dies wäre ein herber Schlag, aber die Miliz könnte sich neu organisieren.

Die Hisbollah gilt als wichtigster Verbündeter des Irans im Nahen Osten. Dass Teheran ihr im Falle eines großen Krieges zu Hilfe eilt, ist aber unwahrscheinlich. Irans neuer Präsident Massud Peseschkian ist um eine Wiederannäherung an den Westen bemüht.

Die Situation ist insgesamt extrem heikel. US-Präsident Joe Biden warnte gestern vor einem „umfassenden Krieg“. Niemand habe Interesse daran, sagte er in seiner Rede vor den Vereinten Nationen. Eine diplomatische Lösung sei noch möglich. Es war Bidens letzte Rede als US-Präsident vor der UN-Vollversammlung.

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