Waghalsige Flucht: Eine syrische Familie fährt auf einem Motorrad entlang der Strecke Sidon-Beirut, auf dem Weg von Rmeileh im Südlibanon nach Beirut. © Marwan Naamani/dpa
Beirut/Tel Aviv – Angefacht von neuen israelischen Luftschlägen wächst im Libanon die Angst in der Bevölkerung. Die libanesischen Behörden berichteten von 50 weiteren Todesopfern und rund 230 Verletzten. Die intensiven Bombardierungen seit dem Wochenende mit Hunderten Toten trafen vor allem den Süden, aber auch die Bekaa-Ebene im Osten. Sie haben Panik und Verzweiflung in dem kleinen Land am Mittelmeer ausgelöst. Vertriebene und Anwohner der betroffenen Gebiete im Süden suchten teils am Strand Schutz – fern von möglichen Zielen in der Hoffnung, dort sicherer zu sein. Viele Ortschaften nahe der libanesisch-israelischen Grenze wirkten wie ausgestorben. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind durch die israelischen Angriffe seit Montag zehntausende Menschen in die Flucht gezwungen worden.
Zahlreiche Libanesen zeigten sich solidarisch: Sie boten Schlafplätze an, Hotels stellten Geflüchteten kostenlos Zimmer zur Verfügung. Doch Augenzeugen berichteten auch von Versuchen, die Notlage der Vertriebenen auszunutzen: Matratzen und elektronische Geräte wurden zu überhöhten Preisen verkauft.
Der Konflikt trifft das ohnehin von Krisen gebeutelte Land hart. Seit Jahren leidet der Libanon unter einer Wirtschaftskrise, die auch das Gesundheitssystem an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hat. Zudem hat das Land seit dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 etwa 1,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. „Wir sind vor ein paar Jahren aus unserem Land geflohen, ich komme aus Homs, und jetzt sind wir auf der Straße und wissen nicht, wohin wir gehen sollen“, klagte Mohammed, ein syrischer Flüchtling und Vater von sechs Kindern.
Nach Angaben der UN versuchten Tausende Menschen nun gar, vor dem Konflikt nach Syrien zu fliehen. An der Grenze stünden Hunderte Autos mit verzweifelten Menschen. Viele Menschen kämen auch zu Fuß, mit ihren wenigen Habseligkeiten in Kisten und Koffern. Einige seien bei den Angriffen verletzt worden. Sie hätten die Nacht im Freien verbracht und warteten seit Stunden am Grenzübergang. Auf der Suche nach Sicherheit müssten die Menschen innerhalb einer Region fliehen, die ihnen kaum noch Schutz bieten könne, hieß es vom deutschen Partner des UNHCR, der Uno-Flüchtlingshilfe.
Seit Ausbruch des Gaza-Kriegs zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen vor knapp einem Jahr kommt es auch in der israelisch-libanesischen Grenzregion fast täglich zu gegenseitigem Beschuss. Die Hisbollah will nach eigener Darstellung mit den Angriffen die Hamas im Gazastreifen unterstützen. Nach den massiven israelischen Bombardierungen im Libanon auf Hisbollah-Ziele seit dem Wochenende droht nun ein offener Krieg zwischen Israel und der Hisbollah. Israels will die Miliz so weit schwächen, dass sie ihren Beschuss einstellt und Israelis in ihre Wohngebiete im Landesnorden zurückkehren können.
Beobachter und Ex-Militärs im Libanon bestätigen unterdessen den Vorwurf des israelischen Militärs, dass die Hisbollah Waffen in Wohngebieten versteckt. „Die Hisbollah hat keine Baracken oder Orte, um ihre Waffen zu lagern, weil Israel sie entdecken wird“, sagte der libanesische ehemalige Armee-Brigadier Wehbe Katischa, der im Südlibanon im Einsatz war. „Deshalb befinden sich ihre wichtigsten Depots zwischen Häusern und in gebirgigen Gebieten nahe den Wohnhäusern.“ Oft wissen Anwohner jedoch nichts von den Waffenlagern. Die Hisbollah verfügte vor Beginn des Gaza-Kriegs über 150000 Raketen.
Derweil mobilisiert die israelische Armee zwei weitere Reservebrigaden. Ziel seien „operative Einsätze im nördlichen Bereich“. Der für den Norden Israels zuständige Kommandeur Ori Gordin sagte, das Land müsse für ein Bodenmanöver bereit sein. Dies wurde als Hinweis für ein möglicherweise bevorstehende Bodenoffensive im Libanon gedeutet.