Zittern nach dem grünen Knall

von Redaktion

Die Grünen stecken in der Krise. Ihre Chefs übernehmen überraschend die Verantwortung dafür. Wie geht es weiter nach dem Rücktritt? Und was rollt da jetzt auf die Ampel zu, wenn mit Nouripour ein Realo hinwirft?

Zwei gehen, zwei bleiben: Omid Nouripour, Ricarda Lang, Robert Habeck und Annalena Baerbock auf einem Bundesparteitag 2023. © Kay Nietfeld/dpa

Berlin/München – Wenigstens die Überraschung ist ihnen geglückt. Fast bis zum letzten Moment bleibt geheim, warum Omid Nouripour und Ricarda Lang am Mittwoch plötzlich vor die Kameras treten wollen. Sie sind gekommen, um zu gehen. In klaren Worten verkünden die Grünen-Chefs ihren Rückzug. „Es braucht einen Neustart“, sagt Nouripour, man erlebe „die tiefste Krise unserer Partei seit einer Dekade“.

Der komplette Vorstand, sechs Leute, tritt ab, hält aber bis zum Parteitag in Wiesbaden Mitte November die Stellung. Der grüne Knall, präsentiert in gedrückter Stimmung, ist spektakulär, wo doch die meisten Ampel-Politiker mit aller Kraft an ihren Ämtern festhalten. Druckausgleich oder Domino-Effekt? Nouripour und Lang selbst verweisen auf die schlechten Wahlergebnisse der Grünen im Osten, wo man aus zwei Landtagen flog, Parteifreunde ergänzen die fünf Wahlen davor und die aktuell teils einstelligen Umfragewerte im Bund. „Es braucht neue Gesichter, um die Partei aus dieser Krise zu führen“, sagt Lang. „Jetzt ist nicht die Zeit, am eigenen Stuhl zu kleben.“

Lang und Nouripour sind seit 2022 die Chefs – Nachfolger von Vizekanzler Robert Habeck sowie Außenministerin Annalena Baerbock. In der Partei sind sie relativ beliebt. Anders als manche Vorgänger harmonieren sie, obwohl aus unterschiedlichen Flügeln. Nouripour ist Realo, kümmert sich unter anderem um Verteidigungspolitik und hielt diskret Kontakt zu CDU-Chef Friedrich Merz. Lang kommt von links, setzte sich aber für den EU-Asyl-Kompromiss und für Ukraine-Waffenhilfe ein. Kritiker sagen dennoch, sie hätten die Stimmung im Land nicht erfasst.

Habeck, der im Herbst Kanzlerkandidat werden soll, dankt. „Dieser Schritt zeugt von großer Stärke und Weitsicht“, sagt er. Nun sei ein „kraftvoller Neuanfang“ drin. Mit wem, ist noch offen. Hinter den Kulissen werden Namen genannt. Einer davon ist Franziska Brantner (45). Sie ist Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, eine enge Vertraute Habecks im Realo-Flügel, soll auch seine Wahlkampfmanagerin werden. Auch der Abgeordnete Felix Banaszak (34) gilt als aussichtsreich. Andere Medien sehen den hessischen Ex-Minister Tarek Al-Wazir sowie Fraktionsvize Andreas Audretsch im Rennen, oder sogar den Bayern Toni Hofreiter.

Die Ampel-Koalitionäre bemühen sich, den Schaden zu begrenzen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) lässt eilig ausrichten, man habe „eng und vertrauensvoll“ zusammengearbeitet, Auswirkungen auf die Koalition habe das nicht. Intern wird daran erinnert, dass Nouripour zuletzt fatalistisch gewirkt habe, die Ampel eine „Übergangsregierung“ genannt hatte. FDP-Chef Christian Lindner, der selbst drei bittere Ost-Wahlen zu erklären hat, äußert sich respektvoll. Aber er warnt: „Wir sind gespannt, ob unter neuer Führung ein neuer Kurs entsteht und welche Auswirkungen er auf die Regierung hat.“

Aus der eigenen Partei kommt Respekt, auch aus Bayern (wo führende Parteifreunde mitten auf dem Oktoberfest von der Nachricht überrascht wurden). „Ich habe große Achtung“, sagt die Landesvorsitzende Gisela Sengl, spricht von „Herzblut und unglaublichem Einsatz“. Landtagsvizepräsident Ludwig Hartmann wirkt eher erleichtert: „Zeit war‘s“, sagt er, „die Entscheidung war richtig und nötig“.

Die Union verkneift sich Häme, es fallen freundliche Worte für Nouripour und respektvolle für Lang, die im Internet ständiger Hetze ausgesetzt war. Dennoch will die Union nun den Druck aufs Ampel-Ende erhöhen. „Die rot-grün-gelben Dominosteine sind am Fallen“, sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt unserer Zeitung. Das Problem sei nicht die Parteispitze, „das Problem sind die Grünen in der Bundesregierung“. CSU-Chef Markus Söder fordert Neuwahlen.

Das Beben erfasst auch andere Teile der Grünen-Familie: Der zehnköpfige Vorstand der Grünen Jugend will geschlossen aus der Partei austreten. Dauerhaft sei es „nicht möglich, gleichzeitig Teil einer Partei zu sein und für eine grundsätzlich andere Politik zu werben als die eigene Partei umsetzt“, heißt es in einer Erklärung an den Parteivorstand vom Mittwochabend, die unserer Redaktion vorliegt.

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