Es geht um alles für Bundeskanzler Karl Nehammer. Unser Bild zeigt ihn vor der ORF-TV-„Elefantenrunde“ mit allen Spitzenkandidaten. © Georg Hochmuth/dpa
Wien/München – Es wird rabiater auf den letzten Metern. In einer hitzigen TV-Debatte haben sich Österreichs Spitzenpolitiker kurz vor der Wahl im ORF beharkt. Man wirft sich reihum „Radikalisierung“ vor, Neoliberalismus, Weichheit, Ahnungslosigkeit. Und ein Satz von FPÖ-Kandidat und -Parteichef Herbert Kickl lässt aufhorchen: Er wittert eine „Verschwörung gegen die eigene Bevölkerung“, wenn der Wahlsieger nicht den Auftrag zur Regierungsbildung bekomme.
Ein Hauch von Trump? Tatsächlich steuert Österreich auf einen schwierigen Wahlabend am Sonntag zu. In Umfragen liegt die FPÖ vorne. Kickl hat flächendeckend den Slogan „Euer Wille geschehe“ plakatieren lassen. Der Spruch mit Vater-Unser-Anklang soll helfen, den 55-jährigen scharfzüngigen Rechtspopulisten zum, wie er es nennt, „Volkskanzler“ zu machen. Doch wessen Wille wo geschieht, ist unklar. Auch wenn die FPÖ führen sollte, wird sich kein Koalitionspartner finden, der bereit ist, Kickl zum Regierungschef zu machen. Eine Koalition FPÖ/ÖVP ist zwar nicht ausgeschlossen – aber könnte an der Chef-Frage platzen.
Ein Blick auf die Lage: Stimmen die Umfragen, dann liegen die seit Langem in Bund und Land etablierten Rechtspopulisten bei rund 27 Prozent – ein Niveau wie bereits 1999 und 2017. Ihr möglicher Spitzenplatz ist Ergebnis der Schwäche von ÖVP (derzeit rund 25 Prozent) und SPÖ (21). Allerdings ist viel im Fluss, renommierte Journalisten in Wien bezweifeln den Wert der Daten. Die konservative ÖVP von Kanzler Karl Nehammer holt auf, auch dank eines strikten Migrationskurses. Dann kam auch noch das verheerende Hochwasser, der Regierungschef positionierte sich als Kümmerer und Krisen-Manager. Werden die Karten gerade neu gemischt?
Nehammer wiederholt in der „Elefantenrunde“ seine kategorische Absage an Kickl. Und das garniert mit dem Hinweis, dass ausgerechnet der FPÖ-Chef einst als Innenminister in der Migrationspolitik versagt habe. „Sie haben als Innenminister gar keine Maßnahme verlängert, die nach der Migrationskrise wichtig gewesen wäre.“ Der Kampf dagegen, „dass wir uns die Islamisierung ins Land holen“, für einen „Migrationsstopp“, ist Kickls wichtigstes Wahlkampfprojekt. Damit und mit dem Kampf gegen die Corona-Maßnahmen und die Ukraine-Hilfen holte er die Partei aus dem Desaster der Ibiza-Affäre 2019. Der Korruptionsskandal führte damals zum Bruch der Koalition mit der ebenfalls affärenerfahrenen ÖVP (2017 bis 2019).
Möglich ist auch eine Koalition aus ÖVP und SPÖ oder zum ersten Mal in der Geschichte ein Dreier-Bündnis: dann mit den liberalen Neos, die auf rund neun Prozent geschätzt werden. Denn ÖVP und die derzeit auch knapp einstelligen Grünen haben sich in ihrer gemeinsamen Regierung seit 2019 sehr entfremdet. Da scheinen die Liberalen als Königsmacher durchaus attraktiv. Die Neos betonen ihren Regierungswillen und vor allem ihren Willen zu Reformen im Bildungs- und Rentensystem. Spannend bleibt, ob ÖVP und SPÖ miteinander könnten, denn die Sozialdemokraten sind unter ihrem 2023 unter chaotischen Umständen gewählten Chef Andreas Babler weit nach links gerückt. Viele seiner sozialpolitischen Forderungen, etwa nach einer Erbschaftsteuer, sind für die ÖVP inakzeptabel. Österreich steckt im zweiten Rezessionsjahr in Folge, bei steigender Arbeitslosigkeit. Einen Ruck ganz links gibt es übrigens auch im Parteienspektrum: Die Kommunistische Partei Österreichs steht bei immerhin drei Prozent, einen Punkt unterhalb der Hürde.
Der internationale Blick auf den Wahlabend ist von Skepsis gegenüber der FPÖ geprägt. Experten schätzen zumindest Kickl selbst als radikaler ein als etwa die deutsche AfD. „Kickl halte ich in der Tat für gefährlicher und anders. Weil er eher bereit ist, Verschwörungstheorien zu verwenden“, sagt der Politologe Reinhard Heinisch von der Uni Salzburg im Gespräch mit unserer Redaktion. Der FPÖ-Chef sei ein „exzellenter Kommunikator, der sehr gefährliche Inhalte auf eine sehr sanfte Weise verpacken kann.“ Vorbild der FPÖ sei eher Ungarns Viktor Orbán als die AfD.