Einer der meistgesuchten Terroristen ist tot: Hassan Nasrallah, hier auf einem Bild von 2013. © AFP
Trümmer, Rauch und ein Krater: Augenzeugen in der Hauptstadt Beirut begutachten die zerbombten Häuser. Nicht alle trauern. © WAEL HAMZEH/epa
Beirut/Tel Aviv – Mehrere Gebäude südlich von Beirut fallen nach Explosionen zu Trümmerbergen zusammen, als Israels Armee das Hauptquartier der Schiitenmiliz Hisbollah angreift. Ihr Generalsekretär Hassan Nasrallah wird getötet. Nasrallahs Tod gleicht einem Donnerschlag im Nahen Osten. Die wichtigsten Fragen:
Was wird jetzt aus der Hisbollah?
Die schiitische Organisation ist durch den Tod ihres Anführers, der als mächtigster Mann im Libanon galt, kopflos. Nachdem fast die gesamte obere Führungsebene getötet wurde, ist unklar, wer innerhalb der Hisbollah nun die Kommandos geben wird, auch bei weiteren Angriffen auf Israel. Vermutlich wird sie Anweisungen des Irans als ihre Schutzmacht abwarten. Fest steht: Die Hisbollah ist so geschwächt und gedemütigt wie seit Jahren nicht.
Benennt die Miliz einen Nachfolger?
Das dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Die Hisbollah ernennt ihre Anführer zwar in meist geheimen und undurchsichtigen Verfahren. Schon jetzt ist aber ein Name für die Nachfolge im Umlauf: Haschim Safi al-Din, Chef des Hisbollah-Exekutivrats, gilt als aussichtsreichster Kandidat. Er ist ein Cousin Nasrallahs und Vater vom Schwiegersohn des mächtigen iranischen Generals Ghassem Soleimani, der 2020 im Irak durch einen US-Drohnenangriff getötet wurde. Safi al-Din soll schon seit den 1990er-Jahren auf eine Führungsrolle innerhalb der Hisbollah vorbereitet worden sein.
Wie bedeutend ist der Tod Nasrallahs?
Nasrallah war eine der wichtigsten Figuren in der sogenannten „Achse des Widerstands“, in der der Iran mit Verbündeten in der Region gegen den erklärten Erzfeind Israel kämpft. Teilweise wurde er sogar als Nummer zwei hinter Irans oberstem Führer Ali Chamenei betrachtet. Für seine Unterstützer hatte Nasrallah fast gottähnlichen Status.
„Nasrallahs Tod ist mehr als nur der Verlust eines Anführers, es ist der Verlust einer festigenden Kraft im Kern von Irans regionaler Strategie“, schrieb das „New Lines Magazine“. Ohne ihn könne die „Achse“ möglicherweise ganz zusammenbrechen. Die libanesische Zeitung „L’Orient Le Jour“ schrieb, die Tötung sei noch bedeutender als die von Top-General Soleimani 2020 und die von Osama bin Laden, Anführer des Terrornetzwerkes Al-Kaida und Drahtzieher der Anschläge vom 11. September. „Er war unser Bin Laden mal zehn. Mehr als 30 Jahre lang tötete er unsere Zivilisten, während er anderen Terrororganisationen zugleich half, besser darin zu werden, uns zu töten“, schrieb Nadav Pollak, Dozent an der israelischen Reichman-Universität.
Welche Folgen hat sein Tod?
Es gibt unterschiedliche Szenarien. Die Hisbollah könnte versuchen, besonders gewaltsam auf diesen Angriff zu antworten – auch um zu zeigen, dass sie überhaupt noch zu Attacken fähig ist. Das könnte etwa passieren in Form eines koordinierten Angriffs der Milizen im Irak und im Jemen oder erneut aus dem Iran selbst.
Sollte die Hisbollah sich nicht wie gefordert von der südlichen Grenze mit Israel zurückziehen, wäre auch eine Bodenoffensive der israelischen Armee nicht ausgeschlossen, um den Druck auf die Miliz hoch zu halten. Solche Kämpfe könnten allerdings vorteilhaft für die Hisbollah verlaufen, die im Süden schon zuvor eine Art Guerilla-Krieg gegen Israel führte. Weil die Hisbollah und die Hamas im Gaza-Krieg deutlich geschwächt sind, könnten vor allem die Huthi im Jemen an Bedeutung gewinnen als Teherans Verbündete. Die israelische Luftwaffe hat am Wochenende mit dutzenden Kampfflugzeugen Ziele im Jemen angegriffen. Dabei wurden unter anderem Kraftwerke sowie ein Hafen angegriffen, über den die Huthi-Miliz iranische Waffen und militärische Vorräte transportiert, berichtet das israelische Militär.
Was bedeutet der Tod für den Libanon?
In dem kleinen Land am Mittelmeer, das seit zwei Jahren ohne Präsident ist und faktisch ohne Regierung, entsteht durch Nasrallahs Tod ein Machtvakuum. Es gibt noch keine Anzeichen aus dem Iran, dass dieser die Lücke der Hisbollah schließen will. Möglich wäre auch ein neuer Machtkampf anderer Gruppierungen: Gegner der Hisbollah dürften jetzt eine Chance sehen, die Strukturen der Hisbollah zu zerlegen und eine stärkere Kontrolle der Regierung wiederherzustellen. Es könnte aber auch zu einem größeren Zusammenbruch der Sicherheit im Land kommen. Das Land erlebte von 1975 bis 1990 bereits einen blutigen Bürgerkrieg.