Minister Cem Özdemir (Grüne) sorgt sich um seine Tochter, die kurz vor dem Abitur steht. © Kay Nietfeld/dpa
Frankfurt/Berlin – Der Richtungsstreit bei den Grünen spitzt sich zu: Agrarminister Cem Özdemir hat sich in einem „FAZ“-Gastbeitrag für eine strengere Asyl- und Migrationspolitik ausgesprochen. Nur so könnten die demokratischen Kräfte das Vertrauen der Mehrheit zurückgewinnen. Özdemir, der auch als künftiger Ministerpräsidenten-Kandidat in Baden-Württemberg gehandelt wird, argumentierte dabei auch mit Erfahrungen seiner Tochter: „Wenn sie in der Stadt unterwegs ist, kommt es häufiger vor, dass sie oder ihre Freundinnen von Männern mit Migrationshintergrund unangenehm begafft oder sexualisiert werden.“
Sie rede nicht gern darüber, „weil sie nicht möchte, dass Rechtsradikale daraus Kapital schlagen“, schreibt Özdemir. „Doch ich spüre, wie sie das umtreibt. Und wie enttäuscht sie ist, dass nicht offensiver thematisiert wird, was dahintersteckt: die patriarchalen Strukturen und die Rolle der Frau in vielen islamisch geprägten Ländern.“ Sie habe jedoch auch schon rassistische Anfeindungen erlebt und deshalb jüngst einen Urlaub an der Ostsee abbrechen müssen.
Es sei notwendig, die Probleme mit Migration offen anzusprechen, findet Özdemir. „Ich bin davon überzeugt, dass es der AfD am meisten nützt, wenn real existierende Probleme von uns aus Angst und falscher Rücksichtnahme gar nicht erst thematisiert werden.“ Das liberal-progressive Lager sei nun gefordert, die Asyl- und Migrationspraxis zu ändern. Gleichzeitig betont er aber auch, dass die Mehrheit der Migranten in Deutschland hart arbeite und sich bemühe, Teil der Gesellschaft zu werden. Er erinnerte dabei auch an die Schwierigkeiten, die seine Familie und er als Einwanderer erlebten. Das konservative Lager begnüge sich seit Jahren damit, die Probleme mit Migration zu beklagen, statt den Rahmen einer modernen Einwanderungsgesellschaft zu definieren. Deutschlands brauche Zuwanderung angesichts des Fachkräftemangels und des Geburtenrückgangs. Zu oft werde Asylpolitik und Arbeitsmigration vermischt.
Özdemirs Beitrag dürfte die Asyl-Debatte in seiner Partei verschärfen. Am Wochenende sind nach dem Bundesvorstand der Grünen Jugend auch die Spitzen der Jugendorganisation in Bayern, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein nahezu geschlossen aus der Partei ausgetreten – aus Protest gegen die Asylrechtsverschärfungen der Ampel.
Unterdessen hat sich mit Staatssekretär Sven Giegold ein weiterer Habeck-Vertrauter, diesmal im linken Parteiflügel, für die neue Parteispitze ins Gespräch gebracht. Giegold will „Politischer Geschäftsführer“ werden, eine Art Generalsekretär.
KR