Auf ihn kommt es jetzt an: Bundespräsident Alexander Van der Bellen spricht nach der Nationalratswahl zum Volk. Er wird der FPÖ wohl keinen Regierungsauftrag erteilen. © Florian Wieser/dpa
München – Er hat den Tag lange kommen sehen. Als Alexander Van der Bellen im Januar 2023 für eine zweite Amtszeit vereidigt wurde, hatte er bereits rote Linien für später gezeichnet. „Eine antieuropäische Partei, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht verurteilt“, sagte er damals, „werde ich durch mein Handeln nicht noch zu befördern versuchen.“ Dann fügte er an: „Damit können Sie rechnen.“ Er musste nicht Herbert Kickl oder seine FPÖ erwähnen – jeder wusste, wovon der Bundespräsident spricht. Nun, anderthalb Jahre später, kommt es genau auf diese Worte an. Die FPÖ liegt nach der Wahl in Österreich auf Platz 1. Und Kickl will Kanzler werden.
Als am Sonntagabend die ersten Hochrechnungen die Runde machen, meldet sich das Staatsoberhaupt ungewöhnlich früh zu Wort. Er werde nun höchstpersönlich an den Sondierungsgesprächen teilnehmen, verkündet Van der Bellen. „Dabei werde ich versuchen, auszuloten, welche tragfähigen Kompromisse es geben könnte“, sagt er. Soll in Richtung FPÖ heißen: Freut euch bloß nicht zu früh.
Die FPÖ hat mit einem Rekordergebnis von 28,8 Prozent die Wahl gewonnen. Dabei hat sie der Kanzlerpartei ÖVP (26,3 Prozent) nicht nur den ersten Platz abgejagt, sondern auch fast eine halbe Million Stimmen. Das geht aus Berechnungen des Instituts Foresight hervor. Demnach hat die ÖVP seit der Wahl 2019 gut 443 000 Wähler an die FPÖ verloren – der größte Wählerstrom, der in Österreich je berechnet wurde.
Überraschend war an dieser Wahl nichts. Die FPÖ lag fast das ganze Jahr über in Sonntagsfragen bei über 30 Prozent. Alexander Van der Bellen hatte also genug Zeit, um sich exakt auf dieses Szenario vorzubereiten. Er ist mächtiger als der deutsche Bundespräsident. Und er muss nicht dem Wahlsieger den Regierungsauftrag erteilen, wenn er das nicht will.
Als wahrscheinlich gilt, dass Van der Bellen die ÖVP unter Kanzler Karl Nehammer damit beauftragen wird, eine Regierung zu schmieden. Der wiederum schließt eine Koalition mit der FPÖ aus – zumindest eine unter Kickl. Nehammer hatte ihn im Wahlkampf als Verschwörungstheoretiker bezeichnet, als jemanden, dessen „Triebfeder“ die Angst sei. „Was ich vor der Wahl sage, das sage ich auch nach der Wahl“, bekräftigt er am Sonntag.
Nehammer wird jetzt auf das geringere Übel zugehen müssen: Andreas Babler, Chef der SPÖ. Wenn die ÖVP nicht mit den Freiheitlichen regieren will, führt kaum ein Weg an den Sozialdemokraten vorbei. Auch Babler hatte bis zuletzt Hoffnungen, Kanzler zu werden. Nun stagniert die SPÖ aber seit 2019 auf ihrem historischen Tiefststand. Knapp 21 Prozent holt die Partei, die erstmals nur noch auf Platz drei landet.
Babler wird zugeschrieben, seine Partei weit nach links gerückt zu haben. Etwa mit seiner Forderung nach einer 32-Stunden-Woche, einer saftigen Vermögenssteuer und einem massiven Ausbau des Sozialsystems. Das macht ihn für Kanzler Nehammer zu einem unbequemen Koalitionspartner – auch wenn sich Babler noch am Wahlabend für Gespräche angeboten hat. Nun stellt sich die Frage, ob sich Babler überhaupt noch als Parteichef halten kann. Oder ob er Platz für jemanden macht, mit dem es sich einfacher regieren lässt.
EVP-Chef Manfred Weber sieht das Wahlergebnis in Österreich als Absage an „jede linke Ideologie“. Die SPÖ müsse jetzt programmatisch auf die ÖVP zugehen, um eine Regierung der Mitte zu bilden, sagt der Europapolitiker unserer Zeitung. Die Wähler hätten Karl Nehammer „einen klaren Regierungsauftrag erteilt“. Der Wahlsieger bleibt da außen vor.
Bundespräsident Van der Bellen hat angekündigt, jetzt erst mal herausfinden zu wollen, „wer mit wem kann“. Aber mit der FPÖ und ihrem Parteichef kann und will niemand: weder die ÖVP, die liberalen Neos noch die Grünen oder die Sozialdemokraten. Sie werden wohl keinen Kanzler Kickl zulassen.