Ein Friedens-Selfie: (v.l.) Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht, Sevim Dagdelen und Peter Gauweiler posieren bei der gestrigen Demo des Bündnisses „Nie wieder Krieg“. © Carstensen/dpa
Berlin – Es ist ein aufschlussreicher Moment an diesem kühlen Donnerstagnachmittag in Berlin. Mit brauner Lederjacke und rotem Pulli steht Ralf Stegner oben auf der Bühne, hinter ihm prangt eine „Friedenstaube“. Einzig: Richtig friedlich ist es hier nicht, zumindest nicht jetzt. Schon als der SPD-Mann feststellt, in der Ukraine tobe ein „russischer Angriffskrieg“, schrillen Pfiffe. „Das ist so, das ist so“, sagt Stegner ruhig. Als er das Recht auf Selbstverteidigung betont und sagt, die Luftabwehr rette jeden Tag Leben, geht ein Raunen durch die Reihen. Buhrufe. Pfiffe.
Vielleicht überkommt Stegner in diesem Moment ja doch ein leichter Zweifel, ob er da in guter Gesellschaft ist. Seine Teilnahme an der Demo hatte er im Vorfeld damit begründet, die SPD sei immer schon Teil der Friedensbewegung gewesen, die Berliner Veranstaltung gehöre nicht exklusiv Sahra Wagenknecht und dem BSW. „Man darf denen das doch nicht überlassen, die unter Frieden verstehen, dass die Ukraine kapituliert und die Putin unterstützen“, sagte Stegner im RBB. „Das tue ich nicht.“
Am Donnerstag wirkt es, als sei er mit diesem Standpunkt relativ allein. Tausende Menschen sind zur Demo gekommen, die Veranstalter sprechen von gut 40 000, die Polizei von einer niedrigen fünfstelligen Zahl. Auf Plakaten ist „Herz statt Hass“ zu lesen, „Diplomaten statt Granaten“. Aber auch Sätze wie „Die DDR war der bessere deutsche Staat“, „Gesamte Ukraine entnazifizieren“ oder „Putin heißt Frieden“. Neben Stegner reden Gesine Lötzsch (Linke), Peter Gauweiler (CSU) und, natürlich, Wagenknecht.
Sie fordert gleich zu Beginn Gespräche mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Es sei „nervig“, gesagt zu bekommen, dass man „aus moralischen Gründen nicht mit Putin reden darf“, sagt Wagenknecht ohne allerdings zu benennen, wer das jemals gesagt haben soll. Kanzler Olaf Scholz musste sich tags zuvor sogar eine Abfuhr aus Moskau abholen. Spekulationen über ein bevorstehendes Telefonat zwischen ihm und Putin dementierte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow: Es gebe nichts zu reden.
Wagenknecht aber ficht so was nicht an. „Es ist für mich jeder Politiker ein Verbrecher, der einen Krieg beginnt“, sagt sie, um sofort auf die „vielen, vielen Kriege der letzten Jahre“ zu sprechen zu kommen, die US-Politiker zu verantworten hätten. Die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland nennt sie „Wahnsinn“, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ein „Sicherheitsrisiko“, das gestoppt werden müsse. Der Ampel-Regierung wirft sie vor, blind dem zu folgen, was irgendwer in Washington sage.
Es ist der typische Wagenknecht-Mix aus Anti-Amerikanismus, Nato-Skepsis und Kreml-Sympathie. In Berlin kommt er an. Neben der Ukraine treibt die Demonstranten auch der Nahe Osten um. „Free Palestine“-Sprechchöre sind zu hören, auf der Bühne wirft jemand Israel Genozid vor.
Es ist nicht das erste Mal, dass Wagenknecht mit einer Demo Aufsehen erregt. Schon im Februar 2023 rief sie in Berlin zum „Aufstand für den Frieden“ auf, damals mit Feministin Alice Schwarzer. Im Vorfeld machte ein Manifest die Runde, das Putin als Bedrängten und den ukrainischen Präsidenten Selenskyj als kriegslüstern darstellte. Wagenknecht musste sich auch in ihrer Partei, der Linken, erklären.
Das ist jetzt nicht mehr nötig. Wagenknechts Standpunkte sind der Kern ihres BSW, das künftig in drei ostdeutschen Ländern mitregieren könnte. Passend dazu werben die Chefs der möglichen Koalitionspartner in einem Gastbeitrag für die „FAZ“ für mehr diplomatischen Einsatz der Regierung. Michael Kretschmer, Mario Voigt (beide CDU) und Dietmar Woidke (SPD) fordern einen Waffenstillstand. Waffenlieferungen, die Wagenknecht stoppen will, erwähnen sie nicht.
Stegner, der Ausgebuhte, hat es an diesem Tag wohl am schwersten. Neben den Pfiffen muss er sich auch aus der SPD Kritik anhören. Er trage zur Verschiebung des Diskurses bei, sagt Außenpolitiker Michael Roth im „Spiegel“. „Wir haben uns von der AfD und Sahra Wagenknecht in eine Falle locken lassen. Sie und ihre nationalistisch-populistische Bewegung haben den Friedensbegriff gekapert.“
MIT DPA