„Weil ich nicht gesund bin“

von Redaktion

Wenige haben die SPD in den vergangenen Jahren so geprägt wie Kevin Kühnert. Nun tritt der 35-Jährige als Generalsekretär zurück, auch den Bundestag wird er verlassen. Grund sei seine Gesundheit, schreibt er in einem Brief an die Mitglieder. Was heißt das für die SPD?

Überraschender Rücktritt: Kevin Kühnert zieht sich aus der Politik zurück – aus gesundheitlichen Gründen. © Schwarz/AFP

München – Vor ein paar Tagen ging es schon einmal um Kevin Kühnerts Zukunft. Der 35-Jährige saß bei „Lanz“ im ZDF und musste sich die schlechte Wahlbilanz seiner SPD vorrechnen lassen. „Drei Wahlen gewonnen, neun verloren – damit kann man doch nicht ernsthaft zufrieden sein“, sagte der Moderator. Kühnert, durchaus angefasst, verstand und konterte kämpferisch: „Keines der Probleme wäre gelöst, wenn ich zurücktreten würde.“ Dann noch: „Wenn das helfen würde, würde ich das sofort machen.“

Auch wenn es nicht so klang, kann man sich im Nachhinein fragen, ob Kühnert seinen Entschluss zu diesem Zeitpunkt schon gefasst hatte. Gestern verschickte er einen Brief an die SPD-Mitglieder, zwei Din-A-4-Seiten lang. Darin: die Ankündigung, mit sofortiger Wirkung als SPD-Generalsekretär zurückzutreten. Auch zur Bundestagswahl will er nicht mehr antreten. Wer den Brief liest, versteht: Hier verabschiedet sich jemand für länger.

Es ist kein politischer Entschluss. Kühnert, der jüngst in einem „Spiegel“-Interview sagte, jeder in der SPD müsse jetzt über sich hinauswachsen, schreibt nun: „Ich selbst kann im Moment nicht über mich hinauswachsen, weil ich leider nicht gesund bin.“ Auf absehbare Zeit brauche er alle Energie, „um wieder gesund zu werden“. Der Entschluss, schreibt er weiter, sei ihm nicht leicht gefallen. „Diese Entscheidungen haben mich Überwindung gekostet und sie schmerzen mich, weil ich meine politische Arbeit mit Herzblut betreibe. Aber sie ist trotzdem richtig.“

Viele in der SPD erwischt die Ankündigung kalt. Nur ein enger Kreis von Vertrauten soll eingeweiht gewesen sein. Zu ihnen zählen auch die beiden Parteichefs, die sich kurz nach der Ankündigung im Willy-Brandt-Haus zeigen. „Kevin Kühnert und mich verbindet eine enge persönliche Freundschaft“, sagt Lars Klingbeil. Die Entscheidung verdiene „größten Respekt“ und auch wenn sich Kühnert zurückziehe, werde man den Weg mit ihm zusammen gehen. SPD-Co-Chefin Saskia Esken sagt, sie habe die Entscheidung „mit Bestürzung und Respekt“ entgegengenommen. Die Sache „trifft uns menschlich und persönlich sehr tief“.

Man darf beiden ihre Empfindungen abnehmen, das Verhältnis des Trios war eng. Ohne den damaligen Juso-Chef wäre die eher unbekannte Esken 2019 wohl nicht Parteichefin geworden. Kühnert war es, der innerparteilich die Strippen zog, bekanntermaßen auf Kosten von Olaf Scholz, der damals unterlag. Klingbeil und Kühnert waren erst Gegenspieler, wuchsen dann immer enger zusammen. 2021 schlug der heutige Parteichef Kühnert als Generalsekretär vor. „Weil ich mich auf ihn verlassen kann“, sagte Klingbeil vor Wochen der „taz“. Kühnert sei keiner, der hintenrum agiere.

Das Verhältnis zum Kanzler war schwieriger und womöglich nagte es auch an Kühnerts Substanz. Der einstige Scholz-Verhinderer, der öffentlich über eine BMW-Enteignung sinnierte, wurde schleichend in die Rolle des Scholz-Verteidigers gedrängt. In jüngster Zeit musste er als Parteilinker die neue harte Asyl-Linie des Kanzlers rechtfertigen. Rhetorisch kein Problem für ihn, inhaltlich wird es ihm nicht leicht gefallen sein. Hinzu kamen ein paar unglückliche Äußerungen. Zuletzt redete er äußerst bemüht das Wahlergebnis in Thüringen und Sachsen schön. Die SPD sei immerhin nicht aus den Landtagen geflogen. Für eine SPD, die sich emotional noch immer als Volkspartei empfindet, eine schwierige Einordnung.

Seit gestern ist all das zweitrangig. „Politik ist nicht alles“, sagt Klingbeil. Die Gesundheit wiegt schwerer. Laut „Bild“ soll Kühnert an einer psychischen Erkrankung leiden, Genaueres ist aber nicht bekannt.

Die SPD ist jetzt unter Druck, schnell einen Nachfolger zu finden. Es könnte auf den Parteilinken Matthias Miersch (55) aus Niedersachsen herauslaufen, heißt es in Berlin nach einer Krisensitzung der Parteigremien. Der Bundestagswahlkampf rückt näher, die Organisation der Wahlkampagne ist Sache des Generalsekretärs. Klingbeil und Esken wollen die Öffentlichkeit „zeitnah“ informieren. Esken schickt zuletzt noch eine Botschaft an Kühnert. Er bleibe Teil der sozialdemokratischen Familie, sagt sie. „Wenn er es möchte, wird ihm immer eine Tür offen stehen.“

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