Es gibt nicht viele, die darüber offen reden. Peter Tauber, einst CDU-Generalsekretär, gehörte zu den Ausnahmen. „Ich hab mich irgendwann dabei ertappt, dass ich quasi nur noch funktioniert habe“, hat er einmal erzählt. Sein Leben habe nur noch aus Arbeit, Essen und (zu wenig) Schlaf bestanden. Auch wenn man nicht weiß, was genau Kevin Kühnert dazu bewogen hat, die Politik zu verlassen, bietet sein Rücktritt einen Anlass, das aberwitzige Tempo zu hinterfragen, in dem der politische Betrieb inzwischen durch die Tage hetzt.
Das alte Klischee vom faulen Politiker ist heute falscher denn je. Klar, als Hinterbänkler mag man zuweilen noch Zeit für lukrative Zweitjobs als Rechtsanwalt haben. Doch wer in der Exekutive Verantwortung übernimmt, gibt die Kontrolle über seinen Kalender aus der Hand. Finanzminister Christian Lindner erschien vergangene Woche sichtlich gehetzt in unserer Redaktion zum Interview. Nach 40 Minuten war er schon wieder weg, weil der Flieger ging. Markus Söder beschäftigt ein ganzes Heer von Pressesprechern, das ihn in Hochphasen im Schichtbetrieb begleitet. Der Kanzler nimmt auch mal den Hubschrauber. Belastend ist nicht nur die Zahl der Termine, sondern auch der in Zeiten von Sozialen Medien nie endende öffentliche Druck. Jeder Satz wird heute von Kameras festgehalten. Bei einem falschen Wort, einer dummen Geste droht der nächste Shitstorm. Viele stehen inzwischen unter Polizeischutz.
Muss man Mitleid haben? Nein, das Schicksal ist selbst gewählt. Trotzdem ist die Entwicklung bedenklich. Zum einen, weil sich immer mehr Polittalente fragen, ob Macht und Einfluss den fast vollständigen Verlust des Privaten wert sind. Übrig bleiben leider zu oft jene mit übertriebenem politischen Sendungsbewusstsein oder mit überbordendem Ego. Maß und Mitte vertragen sich nicht mit diesem Lebensstil. Vor allem aber passt die Hatz nicht in eine Welt, deren Probleme immer komplexer werden. Wer Lösungen für wirtschaftliche Verwicklungen, für internationale Krisen, für zu viel Bürokratie finden will oder die technisch anspruchsvolle Reduzierung von CO₂-Emissionen vorantreiben soll, braucht nicht nur gute Berater – sondern selbst einen klaren Kopf.
Das Land würde besser regiert, wenn sich die Politik entschleunigt.
MIKE.SCHIER@OVB.NET