Es sieht nicht sonderlich grazil aus, erst mit Inbrunst und Freude ein Porzellanregal einzuräumen und dann beim Umdrehen mit dem Hinterteil alles umzustoßen. Dieses Spektakel hat die deutsche Politik am Wochenende gleich doppelt geliefert. Ampel wie auch Union schauen staunend auf zwei Scherbenhaufen.
Vor Porzellanregal 1 versammelt sich die Koalition. Das „Sicherheitspaket“ der Bundesregierung, das eine Lehre aus den Anschlägen, Messerangriffen und Angst-Studien der letzten Wochen sein sollte, wird von den eigenen rot-gelb-grünen Abgeordneten in dem zentralen Punkt entschärft, der Hoffnung auf eine Migrationswende gab. Statt wie angekündigt werden nun wohl doch nicht den ausreisepflichtigen Asylbewerbern die Leistungen gestrichen, eine Liste an Ausnahmetatbeständen weicht den Plan auf. Details sind offen, aber vage absehbar ist, dass in vielen Fällen weitergezahlt wird, es genügt, wenn selbst europäische Nachbarstaaten keine Lust auf die Rücknahme von durchgewunkenen Flüchtlingen haben.
Solange Abschiebungen haken und solange der Grenzschutz nicht funktioniert, in Europa kaum und an den Binnengrenzen nur symbolisch, ist Druck über Leistungskürzungen ein wichtiger Faktor, um den Zuzug nicht Asylberechtigter einzudämmen. Die Koalition kassiert hier erhebliche Teile ihrer Versprechen wieder ein. Das hinterlässt den fatalen Eindruck bei der Bevölkerung, dass in Berlin die Lage noch immer nicht verstanden wurde. Dazu passt, dass SPD und Grüne Anfang Oktober einen klugen Neun-Punkte-Plan der FDP zur Asylpolitik scheitern ließen.
In Porzellanregal 2 hat die Union in den letzten Tagen ihre Pläne zur Asylpolitik eingeräumt. Die Grundgesetzänderung mag vorerst eine arg ferne Versprechung sein, aber realistisch sind bei einer Regierungsübernahme Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien, gebündelte Verfahren in zentralen Unterkünften, drastische Leistungskürzungen für abgelehnte Asylbewerber und moderate Kürzungen für nicht arbeitende Ukrainer. Dass sich CDU und CSU nach der Merkel-Zeit ohne Verwerfungen auf diese weitgehend neue Linie verständigt haben, ist eine starke Leistung. Keine Leistung hingegen: Fünf Minuten nach dem eigentlich absolut harmonischen CSU-Parteitag in Interviews den Unionskrach zum Nebenthema Schwarz-Grün zu befeuern. Überflüssiger Zoff Söder/Wüst/Günther/sonstwer stärkt nicht gerade den Eindruck, die Union fokussiere sich seriös und geschlossen auf die Übernahme der Bundesregierung. Die Menschen verlangen von der Politik Handeln statt Hickhack.
CHRISTIAN.DEUTSCHLAENDER@OVB.NET