„Kein Raum für Selbstzufriedenheit“: Die Asyl-Reform war gut, sagt Ursula von der Leyen. Dennoch brauche es noch schärfere Maßnahmen gegen illegale Migration. © von Ditfurth/dpa
München/Brüssel – Mancher EU-Gipfel geht so ereignislos vorüber, dass man ihn gleich wieder vergessen hat. Der morgige dürfte anders werden. Auf der Tagesordnung: zwei Reizthemen. Der Ungar Viktor Orbán blockiert mal wieder Hilfen für die Ukraine, diesmal einen Milliarden-Kredit. Vor allem aber wird Migration die 27 Staats- und Regierungschefs beschäftigen. Dafür hat die Kommissionschefin gesorgt.
Am Montagabend verschickte Ursula von der Leyen einen Brief an die Mitgliedsstaaten, sechs Seiten lang. Darin lobt sie die EU-Asylreform Geas, die unter anderem Abschiebelager an den EU-Außengrenzen vorsieht, als „großen Erfolg“. Illegale Migration, schreibt sie weiter, bleibe trotzdem eines der drängendsten Themen. Zur Eindämmung schlägt sie zehn Maßnahmen vor, die es teils in sich haben. Zwei stechen heraus: von der Leyen kündigt ein neues EU-Gesetz zur Abschiebung von Migranten an. Außerdem fordert sie Asyl- und Abschiebezentren in Drittstaaten außerhalb Europas.
Nur 20 Prozent jener Migranten, die gehen müssten, wurden bisher tatsächlich abgeschoben, heißt es in dem Brief. Deutlich zu wenig, findet von der Leyen. Ziel müsse deshalb sein, Rückführungen „wirksam zu straffen“. Dazu brauche es einerseits „klare Kooperationspflichten“ für alle Migranten, die Europa verlassen müssen. Außerdem müssten EU-Staaten die Abschiebe-Entscheidungen der jeweils anderen Mitglieder anerkennen. So soll sichergestellt werden, dass „Migranten, gegen die in einem Land eine Rückführungsentscheidung ergangen ist, keine Lücken im System ausnutzen können, um eine Rückführung in einem anderen Land zu vermeiden“.
In diesem Zusammenhang spricht sich von der Leyen auch für Abschiebezentren außerhalb der EU „als möglichen Weg vorwärts“ aus. Die italienischen Flüchtlingslager in Albanien erwähnt sie ausdrücklich als Lern-Beispiel. Der Zeitpunkt passt: Monatelang hatte sich der Start verzögert, just heute sollen die ersten auf See aufgegriffenen Migranten in den Lagern auf albanischem Boden ankommen. Die Idee, Asylverfahren in sicheren Drittstaaten außerhalb der EU durchzuführen, wird seit Langem debattiert. Albanien ist nur die abgespeckte Variante – Befürworter wollen vor allem afrikanische Staaten wie Ruanda gewinnen. Das Drittstaat-Konzept, schreibt von der Leyen, soll nächstes Jahr rechtlich insgesamt neu bewertet werden.
Der Brief trifft genau hinein in die aktuelle Asyldebatte, viele Staaten verschärfen ihren Kurs. In der konservativen EVP, der von der Leyen angehört, kommt das Schreiben an. „Die verschärfte Rückführungsrichtlinie nimmt Abschiebungen ernst“, sagt EVP-Chef Manfred Weber unserer Zeitung. Das zeige: „Die EVP regiert.“ Zugleich lässt sich der Brief als Versuch deuten, die EU-Staaten wieder auf einen Kurs zu bringen. Denn zuletzt kochten viele ihr eigenes Süppchen und verärgerten die jeweils anderen: Berlin kritisiert die Weigerung Italiens, Geflüchtete zurückzunehmen, Polen und Österreich blicken missmutig auf die hiesigen Grenzkontrollen. Die Niederlande und Ungarn wollen von der Geas-Reform ausgenommen werden. Und dieser Tage wundert sich mancher über die Regierung in Warschau, die droht, das Asylrecht zeitweise auszusetzen.
Der Zwist mit Polen dürfte den Brüsseler Gipfel mit bestimmen, zumal ausgerechnet der liberal-konservative Regierungschef Donald Tusk den harten Kurs fährt. Er begründet das mit den Versuchen des Kremls, gezielt Migranten über die polnische Grenze zu schleusen um die EU unter Druck zu setzen. Von der Leyen greift die Sorge in ihrem Brief auf, fordert eine „entschlossene europäische Antwort“ auf Russlands hybriden Krieg. Dem steht aber die klare Erwartung an Polen zur Seite, Asylverfahren weiterhin zu ermöglichen.
Die Kommissionschefin schlägt außerdem vor, die beschlossene Asylreform schneller umzusetzen als geplant (bisher gilt Juni 2026). Anti-Flucht-Partnerschaften mit Staaten in Afrika und Asien sollen ausgeweitet, Schleuser härter bestraft werden. Mit Blick auf Fluchtbewegungen aus dem Nahen Osten fordert sie Notfallpläne. Der Gipfel dürfte debattenreich werden.
MIT AFP