KOMMENTARE

Die (kleine) Chance für den Exit

von Redaktion

Tod des Hamas-Chefs Sinwar

Etwas mehr als ein Jahr suchte Israels Armee nach ihm. Jetzt ist der Mann, der sich das blutrünstige Massaker an 1200 Israelis einfallen ließ, der es plante, koordinierte und sich zweifellos daran berauschte, tot. Offenbar versteckte sich Hamas-Chef Jihia al-Sinwar zuvor monatelang feige in den Tunneln unter Gaza und zwischen israelischen Geiseln, während er sein eigenes Volk draußen bluten ließ. Das preiste er ein, das wollte er, um das Ansehen Israels in der Welt zu beschädigen. Sein Ende ist eine Erlösung – und kann eine große Chance sein, wenn jetzt das Richtige passiert.

Denn plötzlich ist vieles denkbar: Die Hamas ist nun vorerst führungslos und so paralysiert, dass sie sich lange nicht zum Tod ihres Profi-Schlächters äußerte. Man darf annehmen, dass die Botschaft nun auch im letzten Tunnelwinkel angekommen ist: Israel kriegt jeden Terroristen, früher oder später. Derart in die Ecke getrieben – und vom Iran alleingelassen –, ist Sinwars Nachfolger (eventuell sein Bruder) womöglich zu neuen Verhandlungen über die Geiseln bereit. Bisher war es der Terrorchef selbst, der einen Deal immer wieder verhinderte, weil er hoffte, am Ende doch noch einen großen regionalen Konflikt mit Iran provozieren zu können.

Auch für die israelische Regierung böte Sinwars Tod eine Exit-Strategie. Benjamin Netanjahu wollte dem Hamas-Monster Kopf und Glieder abschlagen, was jetzt gelungen ist. Zusammen mit einem Geisel-Deal hätte er alle Argumente in der Hand, den Krieg, der auch unzählige palästinensische Zivilisten trifft, zumindest in seiner jetzigen Form zu beenden. Einzig: Dazu scheint er (noch) nicht bereit.

Zur Wahrheit gehört, dass der Premier sich nach dem Gaza-Einsatz zu Hause sehr unangenehmen Fragen zu seiner Verantwortung für den 7. Oktober stellen müsste. Die Rolle als erfolgreicher Terroristen-Jäger nutzt ihm spürbar mehr.

Das Zeitfenster ist klein und wer sich nicht Optimismus antrainiert hat, kann sich auch anderes vorstellen: Dass die Hamas überreagiert, Geiseln hinrichtet, Israel in einen Guerillakrieg verwickelt, der, wenn überhaupt, nur über die ganz lange Strecke zu gewinnen ist. Nicht zuletzt US-Präsident Joe Biden wird das verhindern wollen, um vor Ende seiner Amtszeit noch einen außenpolitischen Erfolg zu verbuchen. In den nächsten Tagen wird viel in Bewegung geraten. Sinwar ist tot, die Chance ist da.
MARCUS.MAECKLER@OVB.NET

Artikel 11 von 11