Präsidentin Maia Sandu bei ihrer Stimmabgabe in Moldau. © IMAGO/Dmitrij Osmatesko
München/Chisinau – Die ältere Dame blickt irritiert durch die Gegend. Gerade eben hat sie ihre Stimme in einem Wahllokal in Moldau abgeben. Sie fragt einen Wahlhelfer, wo sie denn ihr Geld bekomme. Ein Mann habe ihr 1000 Rubel (rund 9,60 Euro) versprochen, doch nun sei er weg. Eine Reporterin der britischen BBC kommt auf sie zu und fragt, für wen sie ihre Stimme abgeben sollte. „Das will ich Ihnen nicht sagen“, antwortet die Frau zurückhaltend.
Die Frau kommt aus Transnistrien, einem prorussischen Separatistengebiet in der Republik Moldau. Sie erzählt, dass sie noch drei weitere Menschen kennt, die für ihre Stimme bezahlt werden sollten. Jetzt ist sie sauer, weil der Mann ihre Anrufe nicht mehr beantwortet. „Er hat mich betrogen!“
In dem kleinen Ex-Sowjetstaat ganz im Osten Europas wurden am Sonntag die Präsidentschaftswahlen abgehalten – parallel sollten die Bürger auch darüber abstimmen, ob sie das Ziel der EU-Mitgliedschaft in der Verfassung verankern wollen. Das Ergebnis ist extrem knapp: Nur eine hauchdünne Mehrheit (50,28 Prozent) stimmte für „Ja“. Auch bei der Präsidentenwahl lag die proeuropäische Maia Sandu nicht so klar vorn wie erhofft: Zwar kam die Staatschefin auf mehr als 42 Prozent. Doch der Kandidat der russlandfreundlichen Sozialisten, Alexandr Stoianoglo, war mit 26 Prozent erfolgreicher als erwartet.
Noch in der Wahlnacht ist die Präsidentin vor die Kameras getreten – mit schweren Vorwürfen Richtung Moskau. Es gebe Beweise, dass 300 000 Stimmen gekauft worden seien. Der Kreml habe dutzende Millionen Euro ausgegeben, um Lügen und Propaganda zu verbreiten. „Wir haben es mit einem beispiellosen Angriff auf die Freiheit und die Demokratie in unserem Land zu tun“, sagte Sandu.
Moldau, das sich eine 1222 Kilometer lange Grenze mit der Ukraine teilt, hat erst seit Ausbruch des Krieges ernsthafte Chancen auf einen EU-Beitritt. Die Regierung fürchtet, irgendwann könnte sie Putin nächstes Ziel sein. Seit Juni laufen offizielle Verhandlungen mit Brüssel. Dass die Moldauer selbst für eine Mitgliedschaft sind, stand gar nicht großartig infrage: Immerhin gibt sie vielen Moldauern Hoffnung auf mehr Wohlstand. Die Republik mit gerade mal 2,5 Millionen Einwohnern zählt zu den ärmsten Europas.
In der Hauptstadt Chisinau ist man zuletzt wegen des russischen Einflusses immer nervöser geworden. Seit Monaten flutet Moskau das Land mit Desinformationen. Laut dem moldauischen Politikinstitut WatchDog hat Moskau allein in diesem Jahr mehr als 100 Millionen Dollar (92 Millionen Euro) für Kreml-Propaganda ausgegeben. Moldauische Regierungskreise berichteten davon, dass Moskau zuletzt gezielt prorussische Proteste in Chisinau inszeniert habe. Viele Menschen in dem Land seien demnach so arm, dass sie sich mit Schmiergeldern leicht manipulieren lassen.
Laut dem Innenministerium in Chisinau kommen immer wieder riesige Bargeldmengen aus Moskau in Moldau an. Einmal habe jeder einzelne Passagier aus einem Flugzeug eine Summe von knapp unter 10 000 Euro im Gepäck dabeigehabt, erzählen Insider – also gerade noch unterhalb der Grenze, ab der Bargeld beim Zoll angemeldet werden muss. Die Behörden glauben, dass die Geldkuriere zum Netzwerk des Oligarchen Ilan Shor gehören. Der Geschäftsmann wird in Moldau wegen Betrugs und Geldwäsche gesucht und soll sich in Moskau verstecken.
Die moldauische Fernsehjournalistin Mariana Rata-Vremea glaubt allerdings, dass das knappe Ergebnis in Moldau nicht nur auf Kreml-Propaganda oder Wahlmanipulation zurückzuführen ist. Sandus Regierung habe zudem auch noch schlecht mit den Bürgern kommuniziert, sagt sie unserer Zeitung. Vor allem außerhalb der Hauptstadt habe man die Moldauer nicht wirklich erreicht. Generell sind viele Menschen auf dem Land mit Sandus Politik unzufrieden, weil sie seit ihrer Wahl 2020 zu wenig Fortschritte sehen – etwa im immer wieder proklamierten Kampf gegen Korruption. „Daraus werden wir Lehren ziehen müssen“, sagt Rata-Vremea.