Erdogans Doppel-Strategie

von Redaktion

Brics-Gipfel in Russland

Der Westen hat sich zu oft von der eigenen Überheblichkeit blenden lassen und man muss fragen: Passiert das wieder? Den Brics-Gipfel beim russischen Kriegsherrn Putin als reine Autokraten-Show abzutun, wäre jedenfalls ein Fehler. Es stimmt, die Mitgliedsstaaten sind heterogen, teils offene Konkurrenten (Indien/China). Aber der Anti-Amerika-Club wächst, 40 Länder haben ihr Beitritts-Interesse bekundet. Der klare Anspruch: eine neue, multipolare Weltordnung.

Dass auch ein Nato-Land wie die Türkei der Gruppe um China und Russland beitreten will, ist also allemal problematisch – auch wenn das Motiv des Spielers Erdogan komplex ist. Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine fährt Ankara außenpolitisch eine Doppel-Strategie: Es unterstützt Kiew, treibt aber auch Handel mit Moskau, steht also zwischen den Stühlen. Auch die neue Nähe zu Brics dürfte kein Abschied vom Westen sein – dazu sind EU und Nato zu wichtig. Erdogan will aber auf allen Hochzeiten tanzen und die alten „Partner“ zu Zugeständnissen drängen. Mit Erfolg: Beim jüngsten Besuch von Kanzler Olaf Scholz war der Ton überraschend freundlich. Eine Eurofighter-Zusage hatte er auch im Gepäck.

Erdogans Doppelspiel ist kein Indiz dafür, dass dem angeblich so wankenden Westen die Partner von der Stange gehen. Aber es deutet eine Verschiebung an. Die Brics-Staaten, die sich bilateral längst bei Verbrechen (in der Ukraine oder Israel) stützen, gewinnen an Gewicht. Das ist kein Grund zum Verzweifeln, aber zur Sorge.
MARCUS.MAECKLER@OVB.NET

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