Das Gelände des Rüstungsunternehmens war nach dem Angriff in Rauch gehüllt. © dpa
Istanbul – In der Türkei sind bei einem Anschlag auf dem Gelände eines Rüstungsunternehmens laut Präsident Recep Tayyip Erdogan mindestens fünf Menschen getötet worden. 14 weitere seien bei dem Angriff in einem Außenbezirk der Hauptstadt Ankara verletzt worden, sagte der Staatschef. Erdogan bezeichnete den Vorfall als „feigen Anschlag“ auf ein Zugpferd der türkischen Verteidigungsindustrie.
Innenminister Ali Yerlikaya zufolge wurden zwei „Terroristen neutralisiert“, ein Mann und eine Frau. Dabei blieb zunächst unklar, ob die Angreifer festgenommen oder getötet wurden. Am Abend machte Yerlikaya die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK für den Angriff verantwortlich. Die Ermittlungen dauerten an, aber „die Art und Weise der Ausführung spricht für eine sehr wahrscheinliche Verbindung zur PKK“, sagte er.
Medien veröffentlichten am Nachmittag Aufnahmen von Überwachungskameras, die die mutmaßlichen Attentäter mit Schusswaffen zeigen sollen. Auf Videoaufnahmen war zudem eine Explosion zu sehen, im Hintergrund waren Schüsse zu hören. Auch die Sicherheitsmaßnahmen rund um das Parlament im Zentrum Ankaras wurden erhöht. Die türkische Rundfunkbehörde Rtük verhängte eine Nachrichtensperre zu dem Thema.
Das Unternehmen Türkische Luft- und Raumfahrtindustrie (Tusas) ist eine Tochtergesellschaft der staatlichen Agentur für Verteidigungsindustrie. Die Firma ist unter anderem ein bedeutender Produzent von Kampfflugzeugen und Drohnen. Tusas hat etwa die Prototypen des türkischen Kampfflugzeuges Kaan mitentwickelt. Yerlikaya nannte die Firma einen „Augapfel“ der heimischen Verteidigungsindustrie. Tusas hatte im Februar das erste überwiegend lokal entwickelte Kampfflugzeug Kaan erfolgreich getestet. Der Jet wurde gemeinsam mit dem Unternehmen BAE Systems entwickelt.
Laut dem Analysten Murat Yetkin werden Drohnen von Tusas sowohl im Kampf gegen die PKK als auch gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) von der Türkei eingesetzt.
In der Türkei haben in der Vergangenheit sowohl der IS, die linksextremistische Revolutionäre Volksbefreiungsfront DHKP-C als auch die PKK schwere Anschläge verübt, auch in Ankara. Im Oktober 2023 etwa hatte sich ein Selbstmordattentäter vor dem Innenministerium in Ankara in die Luft gesprengt, zwei Beamte wurden verletzt. Die PKK bekannte sich zu dem Anschlag. Die türkische Regierung reagierte mit dutzenden Festnahmen innerhalb der Türkei und Luftschlägen im Nordirak, wo das PKK-Hauptquartier liegt.
Der jetzige Anschlag ereignet sich, kurz nachdem die Ultranationalisten der Partei MHP überraschend eine mögliche Freilassung des PKK-Führers Abdullah Öcalan thematisiert hatten. Die MHP ist Erdogans Regierungspartner. Ihr Chef Devlet Bahceli hatte dies jedoch an eine Entwaffnung der Terrororganisation geknüpft. Beobachter werten dies als ein Zeichen dafür, dass es möglicherweise zu einem neuen Friedensprozess zwischen Regierung und PKK kommen könnte. Der letzte Versuch war 2015 gescheitert.
Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich angesichts des Anschlags „erschüttert“. Auf X schrieb er: „Wir verurteilen Terrorismus in jeder Form aufs Schärfste und stehen an der Seite unseres Partners Türkei.“ Auch das Auswärtige Amt reagierte „entsetzt“ auf den Angriff.
MIRJAM SCHMITT