Sie will das Wahlergebnis nicht anerkennen: Präsidentin Salome Surabischwili gestern Abend bei einer Kundgebung vor dem Parlament in Tiflis. © afp
Tiflis – Viktor Orbán tut es schon wieder: Der ungarische Regierungschef ist gestern ohne Absprache mit den EU-Partnern nach Georgien gereist – einen Tag nach der umstrittenen Verkündung des Wahlsiegs der Moskau-freundlichen Regierung in Tiflis. Orbáns Besuch ist Teil seiner selbst erklärten „Friedens“-Diplomatie, die ihn bereits zu Kreml-Chef Wladimir Putin und zu Chinas Staatschef Xi Jinping geführt hat. Die EU sieht darin vor allem eins: eine Provokation.
„Was auch immer Herr Orbán während seines Besuchs sagt, er vertritt nicht die Europäische Union“, stellte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell klar. Noch deutlicher äußerte sich der Europaabgeordnete Michael Gahler: Orbán stelle sich „auf die Seite der Betrüger“ bei der Wahl, kritisierte der CDU-Parlamentarier. Mit seiner Tiflis-Reise spreche der Ungar nicht für die EU, sondern für die „künftige Sowjetunion“, ätzte Gahler.
Die Kritik an Orbán fällt auch deshalb so harsch aus, weil Ungarn noch bis Jahresende den rotierenden EU-Ratsvorsitz innehat. Der ungarische Regierungschef gilt als enger Verbündeter der Moskau-freundlichen Regierungspartei Georgischer Traum, die nach Angaben der Wahlkommission die Wahl am Samstag gewonnen hat.
Auf Georgien kommen unruhige Tage zu. Während Orbáns Aufenthalt demonstrierte die Opposition auf den Straßen von Tiflis gegen das Wahlergebnis. Die proeuropäische Präsidentin Salome Surabischwili hatte zu den Protesten aufgerufen. Surabischwili sagte, sie erkenne das verfälschte Ergebnis nicht an. „Wir sind Zeugen und Opfer einer russischen Spezialoperation geworden“, sagte sie. Sie als einzige noch vom Georgischen Traum unabhängige Institution in Georgien könne die Wahl nicht anerkennen. „Das wäre, als würde ich ein russisches Eindringen anerkennen, Georgiens Unterwerfung unter Russland.“
Ungeachtet der Vorwürfe über zahlreiche Unregelmäßigkeiten hat die zentrale Wahlleitung die russlandfreundliche Regierungspartei Georgischer Traum zur Siegerin mit knapp 54 Prozent der Stimmen erklärt. Starker Mann der Partei ist der Milliardär Bidsina Iwanischwili, der sein Vermögen in Russland gemacht hat. In der kleinen Ex-Sowjetrepublik Georgien im Südkaukasus, die EU-Beitrittskandidat ist, steht mit dieser Wahl die weitere Annäherung an die EU auf dem Spiel.
Georgische und internationale Beobachter hatten bei dem Urnengang am Samstag zahlreiche Unregelmäßigkeiten verzeichnet. Genannt wurden Stimmenkauf und Druck auf Wähler und Wählerinnen, gehäuftes Einwerfen von Stimmzetteln in die Wahlurnen, der Missbrauch staatlicher Einflussmöglichkeiten zugunsten der Regierung.
Die Berichte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und anderer internationaler Beobachter listeten solche Mängel auf. Sie gingen aber nicht so weit, die Wahl insgesamt infrage zustellen. Auch die ersten Reaktionen in Brüssel waren zurückhaltend.
EU-Ratspräsident Charles Michel forderte von der georgischen Führung eine Aufklärung der Unregelmäßigkeiten. Er werde die künftigen Beziehungen zu Georgien auch auf die Tagesordnung des Europäischen Rates im November in Budapest setzen. „Wir wiederholen den Aufruf der EU an die Führung Georgiens, ihr Festhalten am EU-Kurs des Landes zu demonstrieren.“
Das katholische Osteuropa-Hilfswerk Renovabis aus Freising ruft die EU zu einem stärkeren Einsatz in Georgien auf. Hauptgeschäftsführer Thomas Schwartz, der in einigen Tagen selbst nach Georgien reist, sagte, das Land stehe vor der Zerreißprobe. Russland besetze seit Langem 20 Prozent des georgischen Staatsgebietes in Südossetien und Abchasien. Die eingefrorenen Konflikte führten zu Ängsten in der Bevölkerung, sagte er. Diese Konflikte machten sich prorussische Kräfte zunutze, indem sie sich als Kräfte für den Frieden darstellten.