Christian Lindner erklärt seinen Konkurrenz-Gipfel. Im Hintergrund Arbeitgeber-Verbandschef Rainer Dulger (2. v. li.) und rechts daneben Reinhold von Eben-Worlée, Chef des Verbandes „Die Familienunternehmer“. © John Macdougall/AFP
München – Nicht mal die Gäste hatten große Erwartungen an die zwei konkurrierenden Ampel-Gipfel. „Was diese inflationäre Gipfelei im Herbst der Ampel-Legislatur bringen soll, kann man keinem Mittelständler, der ums Überleben kämpft, mehr erklären“, sagte Christoph Ahlhaus, Chef des Mittelstandverbands BVMW. Auch der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, meinte: „Also mir fehlt der Glaube, dass diese Koalition noch was zustande bringt.“
Die Vertreter von Wirtschaft und Industrie sind gestern zum Spielball im Ampel-Streit geworden. Der Kanzler hat am Nachmittag Industrieverbände, Gewerkschaften und ausgewählte Unternehmen zu einem Treffen im Kanzleramt eingeladen. Ohne Finanz- und Wirtschaftsminister Bescheid zu geben. Mehr noch: Christian Lindner und Robert Habeck waren explizit ausgeladen. Dabei wäre vor allem Lindner gern dabei gewesen. Stattdessen hat er kurzerhand zu seinem eigenen Konkurrenzgipfel eingeladen – der nur fünf Stunden vor dem Treffen im Kanzleramt schräg gegenüber im Reichstagsgebäude stattgefunden hat.
Beide haben das mit demselben Ziel begründet: die Wirtschaft aus ihrer Flaute holen. Doch statt um konkrete Maßnahmen geht es dieser Tage vielmehr um die Frage, ob das nun der Anfang vom Ende ist. Kann das ohnehin schon brüchige Bündnis dieses Theater überleben?
Beim Kanzler blieb jedenfalls der Vorhang zu. Nach dem Treffen gab es anschließend keine Pressekonferenz, auch die ursprünglich geplanten Auftaktbilder bleiben Fotografen und Kameraleuten verwehrt.
Anders beim Finanzminister. Der trat nach seinem Gegengipfel vor die Kameras und sagte: im Wesentlichen nichts. Konkrete Ergebnisse gab es nicht, dafür aber viele Worte, die motivierend klingen sollen. Die wirtschaftspolitische Diskussion sei jetzt da, wo sie hingehöre, nämlich „ganz oben auf der Tagesordnung“. Deutschland müsse wieder „in der Champions League spielen“, pflichtete auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr bei.
Dass er seinen eigenen Gipfel geplant hat, erklärte Lindner so: Der Kanzler habe die Industrie, er nun mal den Mittelstand eingeladen. Deutschland profitiere zwar „von seinem industriellen Kern“, sagte der FDP-Chef – aber gut drei Viertel der Wirtschaft würden durch Mittelstand, Handwerk, Start-ups, Freiberufler und Selbstständige vertreten. Was man auch so verstehen kann: Olaf Scholz‘ Gästeliste ist nur zu 25 Prozent vollständig. Den Rest übernimmt Lindner.
Die Wirtschaftsvertreter scheinen hingegen von dem Konkurrenzkampf genervt zu sein. „Die Ampel muss gemeinsam – und ich betone: gemeinsam – die richtige Wirtschaftspolitik machen, um diesen Standort wieder wettbewerbsfähig zu machen“, sagt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger nach Lindners Gipfel. „Wir müssen jetzt nach dem politischen Schaulauf ins Handeln kommen. Es muss geliefert werden.“
Reinhold von Eben-Worlée als Vertreter des Verbands der Familienunternehmer verglich die aktuellen Rahmenbedingungen mit einem „großen Rucksack“, der die Wirtschaft ausbremse. In ihm seien „extrem hohe Steuern, extrem hohe Sozialabgaben“ und weitere Bürden, sagte er. „Und mit diesem Rucksack sollen wir einen Marathon gegen die vielen internationalen Konkurrenten gewinnen. Das ist kaum möglich.“
Die Hoffnungen halten sich allerdings in Grenzen. Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, meinte bereits im Vorfeld der Gipfel: „Also mir fehlt der Glaube, dass diese Koalition noch was zustande bringt.“ In einem Schreiben des Handelsverbands Deutschland (HDE) an Scholz hieß es: „Wir erwarten von der Politik nicht zahlreiche Gipfel, sondern eine verantwortliche und zielgerichtete Umsetzung der strukturellen Maßnahmen.“
Einzig ein Teilnehmer hatte gestern ganz konkrete Erwartungen an den Industriegipfel im Kanzleramt: VW-Chef Oliver Blume war Scholz‘ Einladung gefolgt, nachdem bekannt geworden war, dass der Autobauer mindestens drei Werke schließen will. Es geht um zehntausende Arbeitsplätzen. Und ob die zerrissene Ampel überhaupt in der Lage ist, diese zu retten.