Plötzlich rehabilitiert: Altkanzler Gerhard Schröder, hier mit seiner Frau So-yeon Schröder-Kim nach der Ehrung zu 60 Jahren SPD-Mitgliedschaft. © Foto: Michael Matthey/dpa
München Es ist eine kleine Feierrunde, 40 Gäste, keine Partei-Prominenz. Die SPD-Chefs haben abgesagt, Medien sind nicht eingeladen – wenn sie schon stattfindet, dann soll die Ehrung des Altkanzlers so geräuschlos wie möglich ablaufen. 60 Jahre in der SPD, das ist ja was. Das Problem: Die Partei hat zu diesem Zeitpunkt mit dem Putin-Freund Gerhard Schröder gebrochen. Oder sagen wir: Teile von ihr.
Es ist Matthias Miersch, Chef in Schröders Heimatbezirk Hannover, der es sich nicht nehmen lässt, den Altkanzler zu ehren. Bei aller berechtigten Kritik habe Schröder viel für die SPD und Deutschland getan, sagt er. Am Ende gibt es eine Urkunde für den Geehrten.
Ein Jahr ist das jetzt her, er hat sich viel getan. Miersch, inzwischen SPD-Generalsekretär, hat gerade ein großes Interview im „Stern“ gegeben, in dem es auch um Schröder geht. Auf die Frage, ob in der SPD Platz für einen wie den Altkanzler sei, sagte er: „Ja. Sonst hätte Schröder aus der Partei ausgeschlossen werden müssen.“ Das wurde weithin als Rehabilitierung verstanden.
Bemerkenswert. Denn im Verhältnis der SPD zum Altkanzler spiegelte sich stets das Verhältnis der Partei zu Russland. Das Verständnis für den Kreml war lange groß. Erst mit Russlands Krieg gegen die Ukraine begann das Umdenken. Kanzler Scholz rief die Zeitenwende aus, die Partei distanzierte sich von Schröder und räumte mit dem alten Russland-Kurs auf. SPD-Chef Klingbeil, selbst ein Schröder-Zögling, sprach von Fehlern. Ende 2023 goss man die neue Haltung in einen Parteitagsbeschluss. Hieß es zuvor, Frieden in Europa sei nur mit Russland möglich, formulierten die Genossen jetzt: „Solange sich in Russland nichts fundamental ändert, wird die Sicherheit Europas vor Russland organisiert werden müssen.“
Und jetzt? Gibt es gehäuft seltsame Signale aus der doch eigentlich geläuterten Partei. Neben Schröder stechen auch die Koalitionsverhandlungen in Brandenburg heraus. Um mit Sahra Wagenknechts BSW koalieren zu können, hat sich die dortige SPD auf einen weitreichenden Kompromiss zur Russland-Politik eingelassen. Man spricht sich unter anderem gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland aus, die zur Abschreckung Russlands dienen sollen. Auch Waffenlieferungen an die Ukraine sieht man kritisch. Die Brandenburg-SPD stellt sich damit direkt gegen ihren eigenen Kanzler.
Ist das ein beginnender Kursschwenk? Wickelt die SPD peu à peu die Zeitenwende ab? SPD-Kritiker warnen. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen schreibt: „Die Rehabilitation Schröders ist das Vorspiel zur Rehabilitation Russlands in der SPD.“ Das sei „unglaublich und würdelos“. Der Kölner Politik-Professor Thomas Jäger meint gar zum Brandenburger Papier: „Aus der Zeitenwende wird in der SPD die Wendezeit — zurück.“ Die „Moskau Connection“ habe sich durchgesetzt. Auch in der SPD reibt sich mancher die Augen. Außenpolitiker Michale Roth nannte das Sondierungspapier einen „Bruch“ mit der Politik des Kanzlers und der SPD.
Insgesamt aber beschwichtigt man in der SPD. Außenpolitiker Nils Schmid etwa sagte dem „Handelsblatt“, es sei „völlig absurd“, Generalsekretär Miersch ähnliche Ansichten zu Russland zu unterstellen wie Schröder.
Dass die Partei sich in letzter Zeit darum bemühte, den friedensbewegten Teil der Wähler zu bedienen, ist aber kaum zu bestreiten. Fraktionschef Rolf Mützenich empfahl etwa, den Ukraine-Krieg einzufrieden. Zur Europawahl plakatierte die Partei den Slogan „Frieden sichern“. Der Kanzler selbst war es, der im September mit dem Satz überraschte, nun müsse man darüber diskutieren, „wie wir aus dieser Kriegssituation doch zügiger zu einem Frieden kommen, als das gegenwärtig den Eindruck macht“. Putin bot er sogar ein Telefonat an, der aber lehnte ab.
Man muss sagen: An der konkreten Ukraine-Politik hat sich bislang nichts geändert. Mit Miersch, meinen manche, könnte nun aber die Tonalität in Bezug auf Russland eine andere werden. Sein Vorgänger im Amt, Kevin Kühnert, fand jedenfalls noch deutlich andere Worte. Schröder nannte er mal „Rubel-Versteher“. In der SPD ist er jetzt wieder vorzeigbar.