Wie viel haben sie sich noch zu sagen? Kanzler Olaf Scholz (re.) und Finanzminister Christian Lindner im Kabinettssaal des Bundeskanzleramts. © Foto: IMAGO/Archiv
München – Volker Wissing ist einer ihrer letzten Fürsprecher. „Respektlos“ gegenüber dem Souverän findet der Bundesverkehrsminister all jene, die über ein vorzeitiges Aus der Ampel spekulieren. „Es sind die Bürger, die über die Möglichkeiten der Mehrheitsbildung entscheiden, nicht Politiker oder Parteitage“, schreibt Wissing in einem Gastbeitrag für die „FAZ“. Und: „Koalitionen sind nicht einfach. Regieren ist nicht einfach. Demokratie ist nicht einfach. Wir tragen die Verantwortung dafür, dass es gemeinsam gelingt.“ Und „vielfach“ sei es sogar „sehr gut gelungen“.
Nun ja, dazu gibt es auch viele andere Meinungen. Laut ARD-Deutschlandtrend (Infratest) sind noch 14 Prozent mit der Arbeit der Koalition sehr zufrieden oder zufrieden – das sind fünf Prozentpunkte weniger als im Oktober. 54 Prozent sprechen sich für vorgezogene Neuwahlen aus, nur 41 Prozent wollen, dass SPD, Grüne und FDP bis zum regulären Wahltag im kommenden September weiterregieren. Auch im Bündnis selbst bekommt man das immer öfter zu hören. „Wissing steht inzwischen ziemlich alleine mit seiner Position“, heißt es in der FDP.
Wie genervt inzwischen auch der Bundeskanzler ist, zeigte sich nach den parallel laufenden Wirtschaftsgipfeln der Koalitionäre. „Wir müssen wegkommen von den Theaterbühnen“, sagte Olaf Scholz danach. Das ging klar gegen Christian Lindner. Beim zweiten Teil des eigenen Gipfels übernächste Woche will er jedoch weithin weder Lindner noch den eigentlich zuständigen Fachminister Robert Habeck am Tisch haben. Gegen den stichelte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch kürzlich, er nehme „viel Verdruss über den grünen Wirtschaftsminister wahr“. Und Habecks Staatssekretär Michael Kellner erklärt unumwunden: „Die Ampel ist in der Performance teilweise grauenhaft.“
Das ist also die Stimmungslage, in der sich die Koalitionäre daran machen, den Haushalt aufzustellen. Am Wochenende treffen sich die Fachpolitiker, um über die fehlenden Milliarden zu beraten. Hier und da dürfte man sich einigen. Doch die großen Fragen müssen die großen drei an der Spitze klären: Scholz, Habeck, Lindner. Zum Beispiel: Was wird aus den Milliarden, die nun nicht ins Intelwerk fließen? Die Grünen wollen das Geld im Klimafonds belassen, die FDP damit den Haushalt auffangen. Oder: Gibt es Kürzungen beim Bürgergeld? Die FDP will sparen, die SPD lehnt das ab.
Lange hatten Scholz und Lindner in Haushaltsfragen an einem Strang gezogen – der ehemalige und der aktuelle Finanzminister. Scholz stellte sich sogar seiner SPD in den Weg, die die Schuldenbremse schon lange loswerden will. Doch seit der letzten Ost-Wahl in Brandenburg hat sich der Ton verändert. Die SPD verkündete, man werde nun stärker auf die eigene DNA setzen. Lindner, dessen FDP mit 0,8 Prozent unterhalb der Wahrnehmungsschwelle abschnitt, kündigte einen „Herbst der Entscheidungen“ an. Inzwischen ist es November. Die Tage der Entscheidung sind da. Vor allem die zentrale Entscheidung: Raus aus der Ampel? Ja oder nein?
Lindner selbst beteuert im „Spiegel“: „Ich habe keinen diesbezüglichen Vorsatz.“ Trotzdem zündelt er am Freitag mit einem neuen Wirtschaftspapier, in dem er die Abschaffung des Solis auch für Gutverdiener fordert. Auch das Rentenpaket wäre ein Thema, das die Liberalen umtreibt. Doch Lindner selbst hat schon zugestimmt. Macht die Fraktion ihre Drohungen ernst, beschädigt sie auch ihren Vorsitzenden, gegen den es allen Ärgers zum Trotz keine ernst zu nehmenden Umsturzpläne gibt. Da setzt Lindner lieber auf den Haushalt und die Wirtschaft.
Der Fahrplan sieht so aus: Bis zur Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 14. November müsste eine Einigung stehen. Doch womöglich kommt der Showdown schneller: Für Mittwoch ist ein Koalitionsausschuss geplant. Dabei können Regierungs-, Partei- und Fraktionsspitzen gleich noch die US-Wahl aufarbeiten.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit beteuert weiter: „Ich habe nicht den Eindruck, dass irgendwer dabei ist, sich in die Büsche zu schlagen.“ Ein Frustrierter aus der FDP-Fraktion sagt dagegen: „Ich glaube nicht, dass es die Koalition an Weihnachten noch gibt.“