Alle Blicke liegen auf ihm: Christian Lindner (r.). Findet der Finanzminister mit Kanzler Olaf Scholz (M.) und Wirtschaftsminister Robert Habeck doch noch eine Lösung? © Kay Nietfeld/dpa
München – Das Treffen mit dem Kanzler ist gerade vorbei, als Christian Lindner am späten Sonntag noch mal zum Handy greift. „Niemand kann akzeptieren, dass Deutschland wirtschaftlich nach hinten durchgereicht wird“, schreibt der Finanzminister bei X. „Deshalb unternehme ich alles, damit wir uns selbst nicht länger im Weg stehen.“ Am Ende der sorgfältig formulierten Zeilen fordert er eine „Richtungsentscheidung“. Klingt, gerade nach dem Vier-Augen-Gespräch mit Scholz, gefährlich nach Ultimatum.
Platzt die Ampel? Und wenn ja, wer ist schuld? Klar ist: So ernst wie jetzt stand es noch nie um die Koalition. Zank gab und gibt es immer wieder zwischen SPD, Grünen und FDP. Aber seit Lindner den Partnern ohne Vorwarnung sein Grundsatzpapier zur Radikalwende in der Wirtschaftspolitik vor den Latz knallte, brennt in Berlin, salopp gesagt, der Baum. Nicht wenige bei SPD und Grünen vermuten, der kleinste Koalitionär habe es auf ein Ende des Bündnisses abgesehen und pokere jetzt noch mal hoch.
Das Gespräch mit Lindner soll der Kanzler auch deshalb gesucht haben, um auszuloten, ob der FDP-Chef noch ernsthaft zu Gesprächen bereit ist. Immerhin: Beide sollen sich versichert haben, bis Mittwoch die Füße still zu halten. So erzählt es FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai am Montagmittag.
Gemessen an der Größe des Problems ist das Zeitfenster, das zum Zusammenraufen bleibt, klein. Scholz, Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wollen sich bis Mittwoch drei Mal in kleiner Runde treffen. Am Mittwochabend kommen dann die Spitzen von Regierung, den Ampel-Parteien und -Fraktionen im Koalitionsausschuss zusammen. Bis dahin soll die Entscheidung gefallen sein, ob man es weiter miteinander versucht. Theoretisch könnte das Gezerre aber auch bis zum 14. November weitergehen, wenn der Haushaltsausschuss den Etat für 2025 festzurren will.
Wie zerrüttet das Vertrauen ist, wie unterschiedlich die Positionen, zeigten die vergangenen Tage. Habeck preschte mit der Idee vor, die Wirtschaft mit einem milliardenschweren Investitionsfonds anzukurbeln. Kanzler Scholz lud dann Industrievertreter zu einem Treffen, allerdings ohne Lindner und Habeck. Der Finanzminister revanchierte sich am selben Tag mit einem Gegengipfel. Dass sein Papier jetzt zum großen Zankapfel wird, ist nicht überraschend: Die Steuern für Unternehmen sollen runter, Subventionen und Sozialleistungen wie das Bürgergeld auch. Klimavorgaben will Lindner lockern. All das widerspricht Kernanliegen von SPD und Grünen komplett.
Wo da Raum für Annäherung sein soll, ist die große Frage. SPD-Chefin Saskia Esken kanzelte Lindners Papier am Montag ab. Darin stehe kein Vorschlag, der es verdient hätte, „in dieser sozialdemokratisch geführten Regierung umgesetzt zu werden“, sagte sie. Zugleich räumte sie Scholz „jede Art von Beinfreiheit“ in den Gesprächen mit Lindner und Habeck ein. Die SPD jedenfalls habe „überhaupt gar keine Neigung, die Koalition platzen zu lassen“. Auf Fragen nach einer Minderheitsregierung ohne FDP sagte Esken, man sei auf alles „gut vorbereitet“. Auch Grünen-Chef Omid Nouripour betonte, man wolle weiterregieren.
Und die FDP? Wer mit Liberalen spricht, hört viel Ernüchterung angesichts der Ampelkrise – und der eigenen Lage. Die meisten Umfragen sehen die Liberalen unter fünf, Neuwahlen könnten sie aus dem Bundestag fegen. Leise Hoffnung: Verließe man das Bündnis aus gutem Grund, etwa im Ringen um den grundsätzlichen Wirtschaftskurs, könnte das Wähler-Sympathien neu wecken.
Die Opposition drängt auf ein rasches Ende der Koalition. „Die Ampel muss jetzt staatspolitische Verantwortung übernehmen, nämlich die Sache zu beenden“, sagt CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Neuwahlen seien der einzige Weg, eine stabile Regierung zu bekommen. Andere Szenarien, etwa eine Minderheitsregierung von SPD und Grünen oder den Regierungseintritt der Union, lehnt er ab.
Gestern trafen sich Scholz, Habeck und Lindner übrigens zum ersten von drei Dreiergesprächen. Ob es positive Signale gibt? Unklar. Aber noch lebt die Ampel.
MIT DPA