Christian Lindner (FDP) Minuten nach seiner Entlassung vor Journalisten in Berlin. © Christoph Soeder/dpa
Sie sind entlassen, Herr Minister: Bundeskanzler Olaf Scholz feuert am späten Abend seinen Finanzminister Lindner. Es ist das Ende der Ampel. © Michael Kappeler/dpa
München/Berlin – Es sind Minuten, aus denen der Zorn aus dem sonst so besonnenen Kanzler bricht. Wütend, wirklich wütend, tritt Olaf Scholz am Mittwoch gegen halb zehn Uhr abends vor die Kameras in Berlin. „Ein solches Verhalten will ich meinem Land nicht länger zumuten“, schimpft er. Finanzminister Christian Lindner habe „kleinkariert parteipolitisch taktiert“, er habe „zu oft mein Vertrauen gebrochen“. Er handle verantwortungslos, und „als Bundeskanzler kann ich das nicht dulden“.
Mit einem Riesenknall endet an diesem historischen Tag die Ampel. Zumindest die Lautstärke überrascht. Stundenlang waren zuvor die Spitzen der Streit-Koalition im Kanzleramt zusammengesessen, hatten über die Rettung der Koalition verhandelt. Es gab Kompromisssignale für die Überbrückung des Riesen-Haushaltslochs, der Druck stieg vor allem nach der US-Wahl mit dem Sieg von Donald Trump. Doch am Abend explodiert die Koalition.
Was bisher seriös nachzuzeichnen ist aus jenen Krisensitzungen: Lindner sagt, er sei von Scholz am Nachmittag ultimativ aufgefordert worden, die Schuldenbremse auszusetzen; das habe er unter Verweis auf seinen Amtseid abgelehnt. Dann setzt der Finanzminister und FDP-Chef dem Bundeskanzler wohl auch eine Art Ultimatum: Er fordert eine schnelle Vertrauensfrage im Bundestag und Neuwahlen im Frühjahr. „Geordnet und in Würde“ könne man doch die Koalition beenden. Die Gespräche hätten gezeigt, dass keine ausreichende Gemeinsamkeit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik herzustellen sei, wird Lindner zitiert. Letztlich reagiert Olaf Scholz radikal: Er feuert Lindner.
Spontan? Geplant? Die Deutungen gehen auseinander, und es fällt auf, dass für Scholz‘ Rede zwei Teleprompter bereitstanden, was auf einen kalkulierten Zornausbruch mit Redemanuskript hinweist. Lindner nennt das Kanzler-Statement „genau vorbereitet“ und einen „kalkulierten Bruch dieser Koalition“.
Was nun? Scholz skizziert am Ende seines Auftritts einen Zeitplan. Er will vorerst mit den Grünen weiterregieren (und Kanzler bleiben), der Koalitionspartner ist dazu bereit. Eine Minderheitsregierung also. Scholz kündigt an, er wolle bis Jahresende noch mehrere wichtige Gesetze zur Abstimmung zu stellen. Er will dazu auf CDU-Chef Friedrich Merz zugehen und ihm eine Zusammenarbeit zumindest bei Wirtschaft und Verteidigung anbieten. Vom Haushalt 2025 ist da keine Rede – für ihn haben SPD und Grüne alleine keine Mehrheit mehr. Für 15. Januar plant der Kanzler dann sein formales Scheitern – die Vertrauensfrage im Bundestag. Sie zu stellen und zu verlieren, ist nötig, damit der Bundespräsident binnen 21 Tagen Neuwahlen einleiten kann. Das dürfte, so heißt es in Berlin, auf einen Wahltermin am 9. März zulaufen. Scholz spricht von einem Zeitraum bis „Ende März“.
Klar ist: Die Union wird nicht in eine Scholz-Regierung eintreten. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt verlangt von Scholz sogar mehr Tempo, um seinen Platz zu räumen. „Es braucht die Vertrauensfrage so schnell wie möglich“, sagt Dobrindt unserer Zeitung. „Regierungsvakuum ist keine Option für Deutschland. Wir sind bereit für schnelle Neuwahlen.“ Schon im Januar könne man wählen, glaubt die CSU.
Scholz und Lindner werden sich nach diesem dramatischen Abend als erbitterte Gegner gegenüberstehen. Lindner spottet über den Kanzler öffentlich, er habe „nicht die Kraft, unserem Land einen wirtschaftlichen Aufbruch zu vermitteln“, agiere „matt und unambitioniert“. Scholz habe monatelang „die Sorgen der Bürger verharmlost“.
Die Minister der FDP treten allesamt zurück, bis auf Lindner, der wird ja entlassen. SPD und Grüne dürften übergangsweise dann aus ihren Reihen Ressortchefs ernennen. Scholz erklärt dazu noch nichts, beantwortet keine Nachfragen. „Schönen Abend noch“, sagt der Kanzler lediglich und wendet sich ab. Schön? Ein für ihn zumindest tröstliches Detail dieses Abends: Die SPD-Abgeordneten empfangen ihn spätabends mit minutenlangem Beifall.