Kiew bangt um wichtigsten Freund

von Redaktion

„Großartiges“ Treffen: Wolodymyr Selenskyj und Doanld Trump im September. © dpa

München – Wolodymyr Selenskyj hat offensichtlich schon verinnerlicht, wie man Donald Trump schmeicheln kann. Der ukrainische Präsident gratulierte seinem künftigen US-Amtskollegen nicht einfach, er beglückwünschte Trump zu dessen „beeindruckendem“ Wahlsieg und erinnerte bei der Gelegenheit noch an das „großartige“ Treffen mit Trump im September. Adjektive, wie der Republikaner sie liebt, der sich selbst als eine Art wandelnden Superlativ begreift.

Dass Selenskyj den künftigen US-Präsidenten mit Lob überhäuft, dürfte viel damit zu tun haben, dass die Amerikaner der größte Unterstützer der Ukraine im Krieg gegen Russland sind – und der ukrainische Präsident fürchten muss, dass sich das unter Trump ändert. Innerhalb von nur 24 Stunden könne er dem russischen Angriffskrieg auf das Land ein Ende bereiten, hatte Trump im Wahlkampf geprahlt. In Kiew, aber auch in Brüssel, fürchten sie seither, dass er diese Ankündigung tatsächlich wahr macht. Denn was gut klingt, könnte in der Realität bedeuten, dass er die Ukraine in Verhandlungen mit Russland zwingt, indem er die Militärhilfe für das Land infrage stellt. Nach der Devise „Land gegen Frieden“ könnte Wladimir Putin dann Gebietsabtretungen fordern, oder auch den Verzicht auf eine weitere Nato-Osterweiterung, fürchten EU-Politiker. Nato-Generalsekretär Mark Rutte gab sich zuletzt hingegen noch entspannt. „Hören Sie auf, sich vor einer Trump-Präsidentschaft zu sorgen“, sagte er im Oktober. „Ich weiß, dass er es vollkommen versteht und mit mir darin übereinstimmt, dass es bei diesem Kampf in der Ukraine nicht nur um die Ukraine geht. Es geht auch um die Sicherheit und die zukünftige Sicherheit der Vereinigten Staaten.“

Doch überhaupt, die Nato: Während seiner ersten Amtszeit hatte Trump Berichten zufolge darüber nachgedacht, das Bündnis zu verlassen. Es wäre ein Ausfall, der kaum zu kompensieren wäre. Nicht nur, dass die USA mit fast 16 Prozent (wie übrigens auch Deutschland) die höchsten Anteile bei der Finanzierung gemeinschaftlicher Aktivitäten der 32 Partner tragen. Viel schwerer wiegt ihre enorme militärische Macht, die das Bündnis zum weltweit schlagkräftigsten macht. Die USA stellen bisher mehr als 40 Prozent der Nato-Truppen – und lassen sich das auch einiges kosten. 916 Milliarden US-Dollar steckten die Amerikaner 2023 in ihr Militär.

Die Bündnispartner bringen an, dass viele europäische Alliierte ihre Verteidigungsausgaben in den vergangenen Jahren erheblich gesteigert haben. Auch Deutschland ist inzwischen bei den zwei Prozent Anteil der Militärausgaben an der Wirtschaftsleistung angekommen, die Trump in seiner ersten Amtszeit vehement eingefordert hat. Im Wahlkampf prangerte Trump zwar weiter aus seiner Sicht säumige Zahler an und ließ Zweifel daran, dass Amerika seiner Beistandspflicht tatsächlich in jedem Fall nachkommen würde, hat aber immerhin die Austrittsdrohungen zuletzt nicht mehr wiederholt. Rutte zeigt sich auch hier gelassen: „Durch die Nato haben die USA 31 Freunde und Verbündete, die dazu beitragen, die Interessen der USA zu fördern, die amerikanische Macht zu vervielfachen und die Sicherheit der Amerikaner zu gewährleisten.“

Für Europa bedeutet das alles enorme Herausforderungen – zumal mit Großbritannien ein militärisches Schwergewicht die EU verlassen hat. Besonders im Osten blickt man sorgenvoll Richtung Russland. Man müsse dringend mehr Verantwortung für die Sicherheit übernehmen, sagte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski und kündigte an: „Polen wird eine Vorreiterrolle dabei einnehmen, die Europäische Union widerstandsfähiger zu machen.“ Auch weiter westlich wird die Lage als ernst eingeschätzt. „Die Zeiten, in denen wir uns Frieden und Sicherheit gewünscht und die Umsetzung insbesondere den USA überlassen haben, sind vorbei“, sagt FDP-Verteidigungspolitikerin Agnes Strack-Zimmermann (FDP) unserer Zeitung. Gut vorbereitet sei Deutschland nicht. „Es reicht nicht, eine Zeitenwende zu propagieren und diese nicht mit Leben zu füllen.“ Auch die Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels werde langfristig nicht reichen, sagt Strack-Zimmermann. Der außenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt (CDU), sieht es ähnlich. Für Deutschland werde es „schwieriger und teurer“. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, eigentlich Aufrüstungsgegner, erkannte immerhin an, Europa müsse sich „darauf einstellen und sich auf sich selbst beziehen und versuchen, auch stärker zu werden, widerstandskräftiger in viele Richtungen“.

Jubel über Trumps Triumph brach übrigens auch in Moskau nicht aus. Der Kreml werde nicht gratulieren, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow. „Vergessen wir nicht, dass wir von einem feindlichen Land sprechen, das direkt und indirekt an einem Krieg gegen unseren Staat beteiligt ist.“ Peskow meint die von Russland begonnenen Kämpfe um die Ukraine.

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