Machtspiele in Brüssel

von Redaktion

Im Zentrum der Aufregung: Der italienische Rechtsaußenpolitiker Raffaele Fitto soll Vize-Kommissionschef werden. © Nicolas Tucat/AFP

München – Am Ende versucht er es mit sanft dosiertem Pathos. Raffaele Fitto erinnert an den italienischen Christdemokraten Alcide De Gasperi, einen der Vordenker der EU. Dessen Arbeit für das europäische Projekt ermutige ihn, selbst ein Amt in der EU-Kommission anzustreben, sagt er. Kein Zufall: Der Raum, in dem ihn die EU-Parlamentarier am Dienstag grillen, ist nach De Gasperi benannt. Und das Bekenntnis zu Europa ist Fittos Versuch, die Stimmung noch zu drehen.

Es nutzt nichts, an diesem Vormittag ist er chancenlos. Keine Überraschung, seit Wochen gibt es Debatten um den Politiker der rechtsnationalen Fratelli d‘Italia. Es ist nichts Persönliches, der 55-jährige Ex-Christdemokrat gilt als umgänglich und proeuropäisch. Das Problem ist sein Parteibuch und die Tatsache, dass ihn Kommissionschefin Ursula von der Leyen trotzdem zu einem mächtigen Mann in Brüssel machen will – nämlich zu einem ihrer Vizepräsidenten. Es wäre das erste Mal, dass ein Rechtsaußenpolitiker so ein Amt bekleidet. Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen geht das aber deutlich zu weit.

Eigentlich will die EU-Kommission am 1. Dezember ihre Arbeit aufnehmen, in der chaotischen Weltlage höchste Zeit. Aber nun gerät etwas ins Stocken. Nicht nur Fitto, der unter anderem die milliardenschweren EU-Regionalfördermittel verwalten soll, wird am Dienstag erst mal nicht bestätigt. Auch die künftige Außenbeauftragte Kaja Kallas muss warten. Aus dem Parlament heißt es, man wolle warten, bis alle Anwärter auf die sechs Vizeposten angehört wurden. Gut möglich, dass die Entscheidung heute steht. Es kann aber auch noch Tage dauern.

Die Hängepartie mag Nerven kosten, aber sie gehört zu den demokratischeren Abläufen des EU-Betriebs. Grundsätzlich benennen die jeweiligen Regierungen ihre Kandidaten für Brüssel, die Kommissionschefin teilt dann die Ressorts zu. Dann schlägt die Stunde des Parlaments: Die Fachausschüsse dürfen die designierten Kommissare stundenlang mit Fragen löchern, am Ende dieser Hearings stimmt eine „Koordinatorengruppe“ aus den Ausschüssen ab. Im ersten Wahlgang ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig, danach reicht eine einfache.

Fitto, noch Europaminister im Kabinett der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni, schlägt sich gestern souverän. Gut drei Stunden löchern ihn die Abgeordneten, machen ihm teils schwere Vorwürfe. Er stehe für „die Zusammenarbeit mit dem Neo-Faschismus“, sagt etwa die spanische Grünen-Abgeordnete Ana Miranda Paz – seine Nominierung durch von der Leyen sei „ein Beispiel dafür, wie die Rechte in ganz Europa die extreme Rechte reinwäscht“. Harter Tobak. Der Italiener lässt sich aber nicht aus der Reserve locken.

Von der Leyen erhofft sich von Fittos Nominierung die Unterstützung der Regierung in Rom, zumal wenn im Parlament Zwei-Drittel-Mehrheiten nötig sind. Denn dann kommt es auf die Stimmen der EKR-Fraktion an, der inzwischen die Fratelli d‘Italia vorstehen. Von der Leyens konservative EVP unterstützt Fitto deshalb offensiv. Beobachter vermuteten im Vorfeld, dass die EVP, sollte der Italiener durchfallen, im Gegenzug die spanische Sozialistin Teresa Ribera blockieren könnte, die ebenfalls Vize werden und die Wettbewerbspolitik der EU verantworten soll. Ihre Anhörung war für Dienstagabend geplant.

Am Ende, heißt es aber, habe niemand ein Interesse an einer langen Hängepartie. Deshalb darf sich auch das dritte Sorgenkind Hoffnungen machen: der Ungar Olivér Várhelyi. Er soll künftig für Tierwohl und Gesundheit zuständig sein. Die Entscheidung wurde auf Mittwochabend vertragt und man darf annehmen, dass Várhelyi durchkommt. Denn Ungarn steht ein Kommissar zu und das Parlament kann die Kommission nur als ganze bestätigen. Ministerpräsident Viktor Orbán, ohnehin EU-Chefquerulant, könnte das mögliche Aus seines Kandidaten also nutzen, alles hinauszuzögern. Das will tatsächlich niemand.

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