Ist alle Hoffnung dahin? Marine Le Pen bangt um ihre Präsidentschaftskandidatur. Hintergrund ist der Vorwurf, sie habe EU-Gelder veruntreut. © Aurelien Morissard/dpa
München – Wenn draußen eisiger Wind bläst, kann man auch im Internet ein wärmendes Plätzchen finden. Für Frankreichs Rechtspopulisten ist das dieser Tage das Netzwerk „X“. Dort sammeln sie sich unter einem Hashtag, er heißt #JeSoutiensMarine – Ich unterstütze Marine. Diejenigen, die es besonders gut meinen, stellen noch ein Selfie von sich mit Marine Le Pen dazu, der Frau, die sich schon auf dem Weg zur Präsidentschaft sah – und der nun Schlimmes droht.
Die Frontfrau des rechten Rassemblement National steht im Zentrum eines großen Prozesses, der sich gerade dem Ende zuneigt. Ihr und 19 weiteren Angeklagten wird vorgeworfen, EU-Gelder veruntreut und zur Sanierung der eigenen Parteifinanzen eingesetzt zu haben. Die Staatsanwaltschaft fordert nun harte Konsequenzen: Fünf Jahre Haft, nur drei davon auf Bewährung, 300 000 Euro Geldstrafe. Und sie will, dass die 56-Jährige für fünf Jahre das passive Wahlrecht verliert. Käme es so, dürfte Le Pen bei der nächsten Präsidentschaftswahl nicht antreten. Staatsanwalt Nicolas Barret fordert gar, dass der Wahlrechtsentzug ab sofort gilt.
Für Le Pen wäre der maximale Schaden. Seit Jahren arbeitet sie auf die Präsidentschaft hin. Drei Anläufe scheiterten, doch jedes Mal rückte sie ihren Gegnern näher auf die Pelle. In der Partei und außerhalb glaubt man, dass es 2027 so weit sein könnte. Der stark angeschlagene Amtsinhaber Emmanuel Macron darf nicht mehr antreten, ein Nachfolger ist bis jetzt nicht in Sicht. Und Le Pen hat es geschafft, ihre Partei zu entdämonisieren. Jetzt das.
Das Rassemblement tut nun, was auch Rechtspopulisten andernorts tun: Es sucht die Schuld bei der Justiz. Le Pen warf der Staatsanwaltschaft vor, politische Ziele zu verfolgen. „Das einzige, was sie interessiert, ist, Marine LePen vom politischen Leben auszuschließen (…) und die Partei zu ruinieren“, sagte sie. RN-Parteichef Jordan Bardella warf der Staatsanwaltschaft einen „Racheakt“ und einen „Angriff auf die Demokratie“ vor. „Die Forderungen laufen darauf hinaus, Millionen Franzosen ihrer Stimme zu berauben.“
Beobachter sehen das anders. „Es ist nicht überraschend, dass die Rechtsnationalisten versuchen, das Vorgehen der Staatsanwaltschaft als undemokratisch zu framen“, sagt der stellvertretende Direktor des deutsch-französischen Instituts, Stefan Seidendorf, unserer Zeitung. „Tatsächlich lief der Prozess aber katastrophal für das Rassemblement. Es ist ziemlich offensichtlich, dass die Partei das EU-Parlament als Selbstbedienungsladen benutzt hat.“
Konkret soll die Partei 2004 bis 2016 mehrere Assistenten nur zum Schein in Brüssel beschäftigt haben. Das für sie bereitgestellte Geld soll dann in das RN geflossen sein, das zu diesem Zeitpunkt finanziell unter Druck stand. Die Staatsanwaltschaft wirft Le Pen vor, das Parlament in einem „organisierten System“ als „Milchkuh“ benutzt zu haben. Das Parlament, das selbst als Nebenkläger auftritt, spricht von 3,4 Millionen Euro Schaden, eine Million hat das Rassemblement zurückgezahlt. Le Pen beteuert ihre Unschuld, Seidendorf ist skeptisch. „Schon ihr Vater sah sich entsprechenden Vorwürfen ausgesetzt, die er nie entkräften konnte.“ Bis heute verlange das EU-Parlament mehr als 300 000 Euro von ihm.
Die jetzige Forderung der Staatsanwaltschaft mag hart sein. Unstrittig aber ist, dass das französische Strafgesetzbuch bei Veruntreuung öffentlicher Gelder den Verlust der Wählbarkeit vorsieht. Ob es in Le Pens Fall so weit kommt, ist unklar. Das Urteil des Gerichts wird Anfang 2025 erwartet.
Während sich die Partei um Le Pen sammelt, bastelt die Angeklagte an einem Plan B. „Ich sehe schon, dass manche sich darauf freuen, mich loszuwerden“, sagte sie unlängst bei der Vorstellung eines Buchs ihres jungen Parteichefs Bardella. „Aber selbst wenn sie es schaffen, dann gibt es immer noch Jordan Bardella.“