Wer übernimmt nun das Kommando? Olaf Scholz (Mi.) und Boris Pistorius im September bei der Bundeswehr in Todendorf. © Janssen/dpa
München – Der Kanzler reist diesmal deutlich schicker als sonst. Im September auf dem Weg nach Zentralasien stieg Olaf Scholz im grauen Schlabberpulli in den Flieger, nach New York gingt es im über der Hose hängenden Poloshirt. Gestern aber erscheint Scholz mit Anzug und Hemd zum Abflug nach Rio de Janeiro, wo der G20-Gipfel stattfindet. Er gibt auch ein kurzes Pressestatement. Offenbar muss noch etwas klargestellt werden: „Die SPD und ich, wir sind bereit, in diese Auseinandersetzung zu ziehen – übrigens mit dem Ziel zu gewinnen.“
Der Kanzler sieht sich genötigt, auf das „Grummeln“ in der Partei zu reagieren, wie es Fraktionschef Rolf Mützenich genannt hat. Es gibt sie, die Rufe nach Boris Pistorius, wenn auch nicht aus der vordersten Reihe der Berliner Bühne. Mit Joe Weingarten und Johannes Arlt haben sich nur zwei Bundestagsabgeordneter öffentlich erklärt. Doch es kommen Stimmen von der Basis, aus Bochum oder Osnabrück. Der SPD-Kreisverband Bamberg warnte, man solle mit Scholz nicht „sehenden Auges in eine unnötige Wahlniederlage hineinlaufen“. Die SPD müsse die Bremse ziehen. Viele an der Basis treibt die Sorge um, dass in einem Richtungswahlkampf der Grüne Robert Habeck die attraktivere Alternative zu Friedrich Merz sei als Scholz.
Der Münchner OB Dieter Reiter hatte der Partei schon vor Wochen geraten, sie solle mit Pistorius lieber den beliebtesten Politiker ins Rennen schicken. Tatsächlich sind die Umfragen eindeutig: In einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Insa sprachen sich 59 Prozent der SPD-Wähler für Pistorius aus, bei Forsa waren es 58 Prozent. Die Münchner SPD-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Anne Hübner, schließt sich auf Anfrage unserer Zeitung ihrem Oberbürgermeister vorsichtig an: „Die Frage, ob man nach einer gescheiterten Regierung unter der eigenen Führung der geeignete Kandidat für die nächste Wahl ist, muss Olaf Scholz selbst beantworten. Ich hoffe, dass er dabei die richtige Antwort findet. Für das Land, aber auch die SPD. Ihm dabei reinzureden, hilft vermutlich nichts.“
Doch noch überwiegen die anderen Stimmen. „Ich bin und bleibe bei Scholz!“, sagt der bayerische Landtags-Fraktionschef Holger Grießhammer. „Mein Gefühl sagt mir, Pistorius würde nur einen kurzen Effekt in den Umfragen bewirken und dann wieder abfallen. Ähnlich wie bei Martin Schulz damals oder auch jetzt in den USA mit Harris.“ Auch sein Vorgänger Florian von Brunn ist überzeugt, Scholz habe das Land gut durch die Krise geführt. „Und er hat den richtigen Kurs bezüglich Ukraine und gegen Putin.“ Der Münchner Bundestagsabgeordnete Sebastian Roloff kritisiert, die Debatte komme „zur absoluten Unzeit drei Monate vor der Wahl“. Sein Kollege Michael Schrodi aus Fürstenfeldbruck sieht es genauso. „Wir haben einen Bundeskanzler, der auch Kanzlerkandidat ist.“
Und was sagen die Erfahrenen in der Partei? Auch sie sind gespalten: Der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering sieht das Rennen offen. „Kanzlerkandidatur ist kein Spiel, das zwei oder mehr Kandidaten abends beim Bier oder beim Frühstück vereinbaren oder das ein Vorrecht auf Wiederwahl umfasst“, sagt der ehemalige Vizekanzler im „Tagesspiegel“. Gegenkandidaten beim Parteitag seien möglich.
Die ehemalige Bundesfamilienministerin Renate Schmidt sieht das ganz anders: „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Boris Pistorius und Olaf Scholz gegeneinander antreten“, sagt sie auf Anfrage. Es handle sich um „ein Debättchen im Wasserglas“. Sie hält Scholz für den Richtigen: „Sie werden sehen, aus dem verschwurbelten Olaf mit gebremstem Schaum wird binnen kürzester Zeit: ,Uns Olaf, der Kämpfer‘.“ Für die Frage, warum man Scholz bislang nicht so erlebt habe, hat die Nürnbergerin Schmidt eine einfache Erklärung: „Weil die Regierung dann viel früher gescheitert wäre.“
Pistorius selbst hält sich sehr zurück. Schon im September hatte er mit Blick auf die USA aber vor dem „Irrglauben“ gewarnt, jemand könne als „Messias“ einen Umschwung bringen. Dies wecke „Erwartungen, die im Zweifel einer alleine gar nicht erfüllen kann“.