Zwischen Frieden und Attacke

von Redaktion

Was ist drin in Bayern? Jedenfalls mehr, als die Umfragen vorhersagen, meinen die Chefs des neu gegründeten Landesverbands, Klaus Ernst (unten 2.v.r.) und Irmgard Freihoffer (unten, 3.v.r.). © dpa

Ingolstadt – Eine dicke Nebelsuppe liegt am Samstagmorgen über Ingolstadt, aus den Fenstern des schicken Maritim Hotels ist die nahe Donau kaum zu sehen. Drinnen glaubt man dafür, umso klarer durchzublicken. Im Tagungssaal hat sich das BSW Bayern versammelt, ein Gutteil der 96 Mitglieder ist gekommen. Gründungsparteitag. Die Bundesvorsitzende selbst, Sahra Wagenknecht, fehlt, dafür ist Co-Chefin Amira Mohamed Ali hier. In ihrer Eröffnungsrede langt sie ordentlich zu.

Es geht gegen Ampel, Amis und AfD. „Scholz, Habeck und Lindner hinterlassen wirklich einen Trümmerhaufen“, sagt die Ex-Linke und wirft der zerbrochenen Ampel eine „ideologiegetriebene Zerstörung des Wohlstands“ vor. Sie warnt vor US-Mittelstreckenraketen in Deutschland, schimpft auf „Panzer-Toni“ Hofreiter und CDU-Chef Friedrich Merz. Von der AfD distanziert sie sich klar. Von deren Programm, sagt die 44-Jährige, würden Multimillionäre stärker profitieren als von dem der FDP. Und mit dem „Faschisten Höcke“ sei keine Zusammenarbeit möglich.

Es ist ein wuchtiger Auftakt für eine Partei, die drei Monate vor der Bundestagswahl durchaus noch an Wucht zulegen muss. Zumindest in Bayern. Die Umfragen sagen fünf Prozent voraus, Mohamed Ali meint, jetzt, da es den Landesverband gibt, sei da noch deutlich mehr drin. Auch Klaus Ernst, den sie in Ingolstadt zu einem von zwei Parteichefs wählen, sieht das so. Sie wissen: Ohne ein akzeptables Ergebnis in Bayern könnte es im Bund eng werden.

Ernst, früher Chef der Linkspartei, ist der prominenteste Kopf des BSW in Bayern. Und der streitbarste. Seine Rede ist inbrünstig, manchmal abgründig, gerade beim Thema Russland. Friedenspolitik liege „in der DNA unserer Partei“, ruft er, um dann anzugreifen. Die Ukraine nennt der 70-Jährige mit Blick auf die ungeklärte Sprengung der Nordstream-Pipeline einen „Terroristenstaat“, Präsident Wolodymyr Selenskyj einen, „der diesen Krieg vorantreibt, der uns in diesen Krieg hineinziehen will“. Jede „Mark“ sei besser in Bildung angelegt als in der Ukraine. Kein Wort zum Kreml. Der Krieg müsse enden, sagt Ernst. Dass man mit solchen Positionen als Putin-Versteher gelte, wundere ihn.

Im Saal klatschen sie Beifall, denn am Ende ist es doch genau dieses Thema, das sie zusammenschweißt. Viele hier sind zum ersten Mal in einer Partei, andere kommen von der Linken, von SPD, ÖDP – oder auch der CSU. Das Friedensthema habe ihn zum BSW gebracht, sagt etwa ein höflicher Unternehmer aus Bamberg, während er sein Mittagessen löffelt. Sein Begleiter, ein Hochschulprofessor, stimmt zu. Grenzen würden doch ständig verschoben, die Angst vor Putin sei aufgebauscht.

Bemerkenswert: Die Öffentlichkeit ist nur zu Beginn willkommen, nach der Mittagspause müssen Journalisten den Saal verlassen. Das BSW sei eben noch eine sehr junge Partei, heißt es, man bitte um Verständnis. Was das mit dem Ausschluss der Medien zu tun hat, bleibt genauso unklar wie das, was hinter verschlossenen Türen verhandelt wird.

Man muss den genauen Hintergrund nicht kennen, um zu sehen, dass das zur Strategie der maximalen Kontrolle gehört, die Wagenknecht ausgegeben hat. Schon die Auswahl der Mitglieder ist straff geregelt, Interessenten werden minutiös gecastet, das letzte Wort liegt laut Satzung in Berlin. Man wolle Leute draußen halten, die nicht zum BSW passten, heißt es. Ebenso streng schaut man jetzt auf das, was inhaltlich nach außen dringt.

Harmonisch soll alles aussehen, anders als in Thüringen, wo Wagenknecht und ihren Mitstreitern zuletzt die Kontrolle fast entglitt. Die dortige Spitzenkandidatin Katja Wolf hatte sich erlaubt, das Thema Krieg und Frieden in den Sondierungen mit CDU und SPD nach hinten zu stellen, die Parteigründerin disziplinierte sie mehrfach öffentlich. Unterschiedliche Standpunkte seien „in einer demokratischen Partei ganz normal“, sagt Mohamed Ali am Rande des Parteitags. Normal ja, aber beim BSW eigentlich nicht erwünscht.

Neben Ernst, der ein enger Wagenknecht-Vertrauter ist, wird die Regensburger Stadträtin Irmgard Freihoffer den Landesverband führen. 88,7 Prozent stimmen für sie, etwas weniger für Ernst (84,5). Die 63-Jährige trat 2020 noch als OB-Kandidatin für die Linke an, sagt aber, sie habe sich schon lange von ihrer alten Partei entfremdet, die BSW-Gründung „sehnsüchtig erwartet“. In Kürze wolle man einen Plan für die Bundestagswahl erstellen. Themen: Rente, Migration, Industriearbeitsplätze – und natürlich die Ukraine.

Der Vorstand ist jetzt für zwei Jahre gewählt. Ernst deutet aber an, dass er früher aufhören könnte. Die Satzung lasse das zu, sagt er. Erst mal will er aber helfen, das BSW Bayern anzuschieben. So gut es geht.

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