Es wird bedrohlich für Olaf Scholz: Der Bundeskanzler spricht am Rande des G20-Gipfels mit Journalisten. Doch die Schlagzeilen kommen aus der Heimat. © Kay Nietfeld/dpa
München – An Klarheit lässt es Boris Pistorius nicht mangeln. Montagabend, ein Medientermin in Passau, natürlich geht es auch hier um die Ambitionen des Verteidigungsministers. Pistorius weist jedes Interesse am Kanzleramt von sich, er lobt Olaf Scholz, aber weil das so erwartbar wie phrasenhaft klingt, legt er sich am Ende doch fest. Man könne im Leben nichts ausschließen, nur eines: „Dass ich noch Papst werde.“
Die Antwort ist gut und bringt ihm viele Lacher, aber entschärfen kann er die Debatte, mit welchem Spitzenkandidaten die SPD in die Wahl zieht, damit natürlich nicht. Eher bewirkt sie noch das Gegenteil. Pistorius verdankt seine hohe Beliebtheit nicht zuletzt dem Umstand, dass er ein guter Redner ist, nahbar und pointiert – und eben auch humorvoll. Alles Attribute, die einem zu Scholz nicht sofort einfallen.
Der Verteidigungsminister agiert betont defensiv. Er sei „zutiefst loyal“, sagt er in Passau, und werde deshalb garantiert nicht sagen, er trete an. Das wird aber auch gar nicht nötig sein, das weiß Pistorius selber. Längst hat die Diskussion eine Dynamik gewonnen, die sich nicht mehr aufhalten lässt. Ihren vorläufigen Höhepunkt hat sie nun mit der Wortmeldung zweier Vertreter der einflussreichen NRW-Landesgruppe im Bundestag erreicht.
Wiebke Esdar und Dirk Wiese verbreiten am Montagabend, während der Kanzler beim G20-Gipfel weilt, ein Statement, in dem sie klar auf Distanz zu Scholz gehen. Dessen Ansehen sei mit der Ampel verknüpft (also im Keller), gleichzeitig höre man überall in der SPD „viel Zuspruch für Boris Pistorius“. Für den Kanzler gelte: „Mit einigem Abstand werden seine Arbeit und seine Entscheidungen für unser Land mit Sicherheit weitaus positiver beurteilt werden.“ Es klingt fast wie ein Nachruf.
Esdar und Wiese repräsentieren nicht nur die mit Abstand größte Landesgruppe, sie decken auch die volle Bandbreite ab. Esdar gehört zu den führenden Köpfen der Parlamentarischen Linken, Wiese ist Sprecher des konservativen „Seeheimer Kreises“. Auf beiden Flügeln wächst die Sorge, dass die künftige SPD-Fraktion eine arg geschrumpfte sein könnte, im schlimmsten Fall auf halbe Größe. Das liegt an der Verkleinerung des Bundestags, aber eben auch an womöglich krachenden Stimmenverlusten.
Dazu passt nicht nur die jüngste „Bild“-Umfrage, die Pistorius als beliebtesten Politiker Deutschlands ausweist – und Scholz auf dem 20. und letzten Platz sieht. Das Popularitätsgefälle zwischen den beiden ist allgemein bekannt. Wirklich bedrohlich für Scholz ist jedoch nicht die Basis, sondern das immer vernehmlicher grummelnde Establishment.
Ex-Parteichef Sigmar Gabriel moniert gestern „Beschwichtigungen und Ergebenheitsadressen“, während der Widerstand gegen ein „Weiter so“ täglich wachse. Wer das laufen lasse, bringe die SPD „unter 15 Prozent“. Der Thüringer Landesvorsitzende Georg Maier wirft gegenüber dem RND die Frage auf, „ob aus Sicht der Partei ein Wechsel bei der Kanzlerkandidatur nicht besser wäre“. Und aus der Ruhr-SPD, die schon am Sturz der Parteichefin Andrea Nahles 2019 maßgeblich beteiligt war, heißt es, man brauche „einen Neustart“.
Einer der wenigen Scholz-Fürsprecher ist gestern Altkanzler Gerhard Schröder. Die Partei könne „doch nicht den eigenen Kanzler demontieren“, sagt er der „SZ“. Schröder war bis 2005 Regierungschef, am Ende seiner Amtszeit stand eine verlorene Vertrauensfrage. Die strebt auch Scholz für den 16. Dezember an. Der Plan sieht vor, dass eine Mehrheit dem Kanzler das Vertrauen verweigert und damit den Weg zu Neuwahlen ebnet.
In der SPD wächst nun aber die Sorge, die AfD könne das Manöver durchkreuzen, indem sie Scholz zu einer Mehrheit verhilft, die der Kanzler gar nicht will. Eine Option könnte sein, dass sich die Sozialdemokraten der Stimme enthalten. Das wäre gleichbedeutend mit einem Nein.
Kurzfristig beraumte die Parteispitze für gestern Abend eine Schaltkonferenz an. Wichtigster Programmpunkt: die K-Frage. Olaf Scholz brach zur gleichen Zeit aus Brasilien auf. Die eigentlich geplante Weiterreise nach Mexiko sagte er kurzfristig ab. Es wird für ihn höchste Zeit, zurück nach Berlin zu kommen.