In Ungarn ist er noch willkommen: Ministerpräsident Viktor Orbán (l.) hat Benjamin Netanjahu demonstrativ eingeladen. Die Haager Entscheidung sei „zynisch“. © Hill/dpa
München – Die Haftbefehle des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag gegen Benjamin Netanjahu und Israels Ex-Verteidigungsminister Joav Galant setzen die EU-Staaten unter Druck. Denn eigentlich müssen die Staaten, die den Haager Gerichtshof anerkennen, den israelischen Premier festnehmen lassen, sobald er ihr Land besucht.
Ungarns Premier Viktor Orbán heizte die Debatte über den Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen an, indem er Netanjahu demonstrativ nach Budapest einlud. Die Haager Entscheidung sei „zynisch“ und stelle eine „Einmischung in einen laufenden Konflikt zu politischen Zwecken“ dar, sagte Orbán.
Die Bundesregierung reagierte ausweichend. Man wolle mögliche innerstaatliche Schritte „gewissenhaft prüfen“. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) antwortete im ARD-„Morgenmagazin“ auf die Frage, ob man Netanjahu nun raten müsse, besser nicht nach Deutschland einzureisen: „Es gilt die Unabhängigkeit der Justiz. Das gilt national, das gilt europäisch, und das gilt auch international. Das haben wir in der Vergangenheit bereits deutlich gemacht. Wir haben auch deutlich gemacht, dass wir uns an Recht und Gesetz halten.“
Die Bundesregierung befindet sich in einer Zwickmühle: Einerseits unterstützt sie Israels Recht auf Selbstverteidigung nach dem Terrorüberfall der Hamas vor gut einem Jahr, andererseits plädiert sie stets für ein robustes internationales Rechtssystem mit verbindlichen Regeln.
Laut Völkerrechtlern wie Matthias Goldmann von der Uni Heidelberg müsste Deutschland den Haftbefehl gegen Netanjahu umsetzen, sobald der israelische Premier deutschen Boden betritt. Zwar genießen amtierende Regierungschefs grundsätzlich Immunität. Aber bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit könne es keine Immunität geben, so die Meinung der meisten Völkerrechtler. „Deutschland als Mitgliedstaat des Internationalen Strafgerichtshofs müsste Netanjahu demnach festnehmen und überstellen“, so der Professor gegenüber dem Journal „Internationale Politik und Gesellschaft“ (IPG).
Einige Völkerrechtler argumentieren jedoch, dass der Haftbefehl nicht umgesetzt werden müsse, weil Israel den Haager Strafgerichtshof nicht anerkannt hat – ebenso wie die USA oder Russland. US-Präsident Joe Biden nannte die Ausstellung von Haftbefehlen gegen israelische Politiker „empörend“: „Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Was auch immer der Internationale Strafgerichtshof andeuten mag, Israel und die Hamas sind nicht gleichwertig – überhaupt nicht.“
Der Gerichtshof hatte gleichzeitig mit den Haftbefehlen gegen Netanjanu und Galant auch einen gegen Hamas-Chef Mohammad Diab Ibrahim Al-Masri wegen des Massakers vom 7. Oktober erlassen. Das israelische Militär hat Al-Masri für tot erklärt, was von der Hamas nicht bestätigt wurde.
Die Regierungen der Niederlande, Irlands und Kanadas stellten klar, dass Netanjahu bei Besuchen in ihren Ländern festgenommen würde. Klar ist: Seine Reisefreiheit ist künftig empfindlich eingeschränkt.
KLAUS RIMPEL