Ex-Kanzlerin Angela Merkel gibt dem Unions-Kanzlerkandidaten Merz einen Tipp: Er müsse jetzt einen Wahlkampf führen, in dem er das beweist, dass er Kanzler kann. © Krick/PA
München – Angela Merkel ist keine Frau, die groß auf den Putz haut, sich lautstark echauffiert oder ausfällig wird. Wenn sie Spitzen verteilt, sind sie fein säuberlich kalkuliert – an jene gerichtet, die sie auch ganz bestimmt verstehen. „Dieses gegenseitige Übertrumpfen in vermeintlicher Klarheit halte ich nicht für eine politische Tugend“, sagt sie. Für sie gehe es darum, „zwischen den Zeilen zu lesen“. Entsprechend zwischen den Zeilen kommuniziert die Altkanzlerin jetzt auch in einem „Spiegel“-Interview. Es sind Antworten, die zu großen Teilen diplomatisch klingen, auf den zweiten Blick dann aber doch einen gewissen Hau-drauf-Effekt haben – vor allem mit Blick auf die anstehenden Wahlen.
Angesprochen auf Olaf Scholz‘ Wutrede, mit der er Finanzminister Christian Lindner (FDP) aus dem Amt kegelte, sei Merkel sofort ein Gedanke in den Sinn gekommen: „Männer!“ Denn die würden, so die Altkanzlerin, oft Dinge „zu persönlich zu nehmen“. Es sei besser, man schreie die Wand in seinem Büro an, als die deutsche Öffentlichkeit, findet sie. „Ich konnte mich als Kanzlerin auch nicht tagelang in meinem Gemütszustand aufhalten, sondern musste die Wut hinter mir lassen und schauen, dass ich vorankomme.“ Gerade das Vorankommen verlief nach dem Ampel-Aus zäh, der Krach um den Zeitpunkt der Neuwahlen traf bei den Bürgern auf Unverständnis.
Auf die Frage, ob Scholz mit seinem Auftritt die Würde seines Amtes verletzt hatte, wird Merkel allerdings deutlicher. „Ich hätte es ja nicht gesagt, wenn ich das für ein Paradebeispiel für Würde hielte“, antwortet sie. „Der Bundeskanzler führt das Verfassungsorgan Bundesregierung an. Sein Amt hat eine Würde, und die sollte einen stets leiten.“ Es ist praktisch ihr Appell für mehr Beherrschung, mehr Gefasstheit. Eigenschaften an ihr, die einst Fürsprecher als professionell schätzten, ihre Kritiker als ignorant empfanden.
Gegen ihren Nachfolger, den Kanzlerkandidaten der SPD, zu feuern, ist eine Sache, aber die ehemalige CDU-Kanzlerin zündelt auch in der eigenen Partei – mitten im vorgezogenen Wahlkampf. Vor allem ihrem einstigen Rivalen Friedrich Merz dürfte Merkels Sicht auf die politischen Dimensionen nicht sonderlich schmecken. Ob der CDU-Chef Kanzler kann, wird sie gefragt. Darauf antwortet sie nur: „Er muss jetzt einen Wahlkampf führen, in dem er das beweisen kann.“
Übersetzt heißt das so viel wie: Merz muss erst noch überzeugen, bisher ist es nicht jeder – erst recht nicht sie. Auf die Nachfrage, ob sie ihm das Amt zutraue, entgegnet sie: „Wer so weit gekommen ist, muss über irgendwelche Eigenschaften verfügen, die ihn dazu befähigen. Ja, man wird nicht ohne Grund Kanzlerkandidat.“ Geschickt suggeriert Merkel damit Wohlwollen, doch „irgendwelche Eigenschaften“ klingt vage, als wüsste sie selbst nicht, was Merz eigentlich für den Kanzlerposten auszeichnet.
Dass Merkel dagegen eine besondere Verbundenheit zu den Grünen verspürt, dürfte spätestens seit Mai dieses Jahres jedem klar sein. Da erschien sie als Stargast beim Abschied ihres politischen Weggefährten Jürgen Trittin. Die Ex-Kanzlerin würdigte ein Grünen-Urgestein, während sie bei ihrer eigenen Partei meist durch Abwesenheit glänzt.
Wohl auch deswegen spricht die einstige CDU-Chefin ausnahmsweise sehr deutlich über eine schwarz-grüne Koalition. „Ich finde es nicht in Ordnung, dass Markus Söder und andere in CSU und CDU derart abfällig über die Grünen sprechen“, sagt sie. Eine Bündnisfähigkeit müsse erhalten bleiben.
Seit der Migrationskrise und den heftigen Auseinandersetzungen mit dem damaligen CSU-Chef und späteren Bundesinnenminister Horst Seehofer ist Merkels Verhältnis zur CSU ohnehin unterkühlt. Da hat wohl auch der bayerische Verdienstorden, den ihr Ministerpräsident Söder 2023 überreicht hatte, nichts groß geändert. Denn auch diesmal hat sie noch eine Spitze parat. „Kleine Koalitionspartner wie die FDP, die CSU auf Bundesebene und lange Zeit die Grünen“, sagt sie, „tun sich immer schwer damit, das Gesamtwohl im Blick zu haben“. Zur Erinnerung: Die CSU ist Schwesterpartei, Teil der Union, kein loser Partner.