KOMMENTAR

Viele Verlierer, aber noch kein Sieger

von Redaktion

SPD: Desaströser Wahlkampf-Start

Schlechter kann ein Start in den Wahlkampf gar nicht laufen: Viel zu lange durfte Boris Pistorius vom Kanzleramt träumen. Viel zu lange durften SPDler der zweiten und dritten Reihe ihren Unmut über die Amtsführung von Olaf Scholz artikulieren – ohne dass die beiden Parteivorsitzenden der Debatte Einhalt gebieten konnten. Jetzt sind alle Beteiligten schwer beschädigt, allen voran ein Kanzler, dem Teile der Partei quasi das Misstrauen ausgesprochen haben. Stand heute ist man versucht zu sagen, Friedrich Merz könne nur noch von einem besiegt werden: von Friedrich Merz, mit einer seiner unbedachten Äußerungen. Aber ist das so?

Eigentlich ist es ein denkbar schlechtes Signal, wenn die beim Volk beliebtesten Politiker von Union (Söder) und SPD (Pistorius) bei der Kandidatenkür übergangen werden. Auf der anderen Seite sind die Zeiten extrem schnelllebig. Man erinnere an den Hype um Martin Schulz im Wahlkampf 2017: Im Februar führte der SPD-Kandidat vor Angela Merkel die Umfragen mit 50:34 Prozent an. Im Juli stand es 28:57. Vier Jahre später startete Annalena Baerbock als Wählerliebling, ihr Absturz in der Gunst verlief spektakulär.

Im Falle von Pistorius wäre ein konkretes Thema problematisch geworden: die Unterstützung der Ukraine. Während Merz und Robert Habeck lieber mehr Waffen wie den Taurus liefern wollen, bremst der Kanzler. Allein Scholz gibt der Mehrheit der Deutschen, die bei diesem Thema vorsichtig sind, bei den Parteien der Mitte eine Stimme. Mit einem Kandidaten Pistorius hätten sich viele in Richtung Wagenknecht oder AfD orientiert, die SPD wiederum hätte plötzlich eine inhaltliche Grundsatzdebatte am Bein gehabt.

Auch wenn man die Entscheidung falsch findet: Es gibt schon Gründe, warum die SPD weiter auf Scholz setzt. Allerdings hätte man dann aber seinen Amtsbonus nicht zum Amtsmalus verkommen lassen dürfen. Und trotzdem: Gelaufen ist die Wahl noch lange nicht. Genau einen Monat vor dem Urnengang tritt Donald Trump sein Amt an. Man kann davon ausgehen, dass die Welt am 23. Februar sich sehr von der heutigen unterscheidet. Zölle und Handel, Verteidigung und Sicherheit, Migration und Klima – die Auswirkungen auf die Schlussphase des deutschen Wahlkampfs sollte niemand unterschätzen.

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