Die Kanzlerin bereut nichts

von Redaktion

Standpauke auf offener Bühne: Beim CSU-Parteitag Ende November 2015 brüskiert Bayerns damaliger Ministerpräsident Horst Seehofer Kanzlerin Angela Merkel. © Sven Hoppe/dpa

München – Nicht, dass es zwischen diesen beiden Männern noch einen Wettstreit gäbe, aber wollte man ihn suchen, dann läge Horst Seehofer weit in Führung. Nur wenige kommen in den gerade erschienenen Memoiren Angela Merkels so oft vor wie der frühere CSU-Chef (an zwölf Stellen), viele müssen sich mit einer Erwähnung begnügen oder, wie Markus Söder, mit drei. Wurmt ihn das? Vielleicht. Muss es? Eher nicht. Denn man kann es auch so lesen: Söder mag Randfigur sein – Seehofer ist Reizfigur.

Es ist ja kein Geheimnis, dass es zwischen Merkel und der CSU oft nicht harmonisch zuging. Besonders in Erinnerung bleibt die Zeit ab Herbst 2015. Seehofer, damals bayerischer Ministerpräsident und CSU-Chef, stemmte sich mit Gewalt gegen Merkels Migrationskurs, sprach von einer „Herrschaft des Unrechts“, manche orakelten die Spaltung der Union herbei. So kam es nicht. Trotzdem arbeitet sich die Altkanzlerin in „Freiheit“ auch an der CSU ab, etwas zumindest.

Es ist keine harte Abrechnung, eher eine zwischen den Zeilen. Merkel beschreibt die Ereignisse von 2015 ohne inhaltliche Überraschungen, aber detailreich. Da ist zum Beispiel jener Abend Anfang September, als sie mit Seehofer klären will, ob man die in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge ins Land lassen solle, ihn aber nicht erreicht. Erst am nächsten Tag, die Entscheidung ist getroffen, telefonieren sie. Der CSU-Chef habe ihr gesagt, das sei ein Fehler, der nicht rückgängig zu machen sei, schreibt Merkel. „Ich hatte geantwortet, dass ich das anders sähe. Das Telefonat war so deprimierend verlaufen, wie ich es bereits geahnt hatte.“

Typisch Merkel: kein direkter Vorwurf, null Sprengkraft, aber ein Fingerzeig, dass sie nichts zu bereuen habe. So geht das weiter. Im Ton kühl, im Stil oft langatmig, beschreibt sie protokollartig, wie das damals aus ihrer Sicht war. Für Emotionen ist da kaum Platz, nur hier und da ahnt man, woran Merkel zu knabbern hatte. An jenen berühmten CSU-Parteitag, bei dem Seehofer ihr quasi auf offener Bühne eine Standpauke hielt, erinnert sie sich so: „Ich dachte: Hier stehst du jetzt als Parteivorsitzende, das ficht dich nicht an, das bekommst du hin. Aber du bist auch Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Was wird das in Brüssel, was wird das in der Türkei für einen Eindruck machen, wenn die dich hier sehen?“ Das sei der „Tiefpunkt“ in ihrem Verhältnis zu Seehofer gewesen.

Es ist nicht allein das Migrations-Thema, das die akribische, sicher bemühte Memoiren-Schreiberin Merkel mit der CSU hadern lässt. Sie wirft der Schwesterpartei auch vor, ihr Entscheidungen anzulasten, die die CSU selbst vorangetrieben hat: den Atomausstieg, die Abschaffung der Wehrpflicht. Und doch ist Asyl, um mit Seehofer zu sprechen, die Mutter aller damaligen Probleme zwischen Merkel-CDU und CSU.

Heute ist die Wunde wenn nicht verheilt, dann doch gut bandagiert und Seehofer selbst sieht in Merkels Buch keinen Grund, sie nochmals zu öffnen. „Da steht in der Tat nichts Neues drin“, sagte der 75-Jährige unserer Zeitung. „Ich sehe das deshalb gelassen, weil niemand ernsthaft bestreiten kann, dass die Entwicklung mir Recht gegeben hat.“

Er selbst blickte vor Wochen noch etwas bang auf die Veröffentlichung, sagte, am liebsten wäre ihm, er käme gar nicht in Merkels Buch vor. Nun ja, es blieb bei dem Wunsch. Den Gedanken, eventuell selbst noch ein Buch zu schreiben, eine Entgegnung quasi, hat Seehofer trotzdem verworfen. „Das wäre eine Überreaktion“, sagte er. „Mir reicht, dass mir viele Leute sagen: ‚Sie haben damals Recht gehabt‘.“ Es gehe ihm dabei nicht um Rechthaberei. „Wenn ich auf die heutigen Auswirkungen der damaligen Politik blicke, fühle ich mich einfach bestätigt.“

Man sollte bei alldem auch erwähnen: Die schwierige Merkel-CSU-Beziehung hat sich über die Jahre entspannt. Söder verlieh der Altkanzlerin Mitte 2023 den bayerischen Verdienstorden, Seehofer lobt immerhin, später habe man ein „vernünftiges Verhältnis der Zusammenarbeit“ gehabt. Merkels Buch kennt er nur in entscheidenden Auszügen, will es aber ganz lesen. „Ja, ich werd’s lesen, im neuen Jahr sicher“, sagte er. Gerade habe er aber anderes zu tun.

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