Trügerische Stille im Libanon

von Redaktion

Stau im Süden Beiruts: Tausende Vertriebene kehren am Tag nach der vereinbarten Waffenruhe in ihre verwüstete Heimat zurück. Ob der Frieden hält? © Marwan Naamani/dpa

Beirut/Tel Aviv – Die Explosionen und das Donnern der Kampfflugzeuge im Libanon verstummten fast auf die Minute genau. Am Mittwoch um 4 Uhr in der Früh trat die von den USA und Frankreich vermittelte Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah in Kraft. Noch in der Nacht feierten die Menschen im Libanon das – zumindest vorläufige – Kriegsende. Viele der rund 800 000 Vertriebenen im Land machten sich auf den Weg, um in ihre Wohnhäuser zurückzukehren. Die Einwohner der israelischen Grenzorte waren jedoch skeptischer: Viele von ihnen glauben nicht, dass die Vereinbarung mit der Hisbollah ihre Sicherheit gewährleisten kann.

Beide Seiten steuern nun in ein neues und ungewisses Kapitel ihres jahrzehntealten Konflikts. Doch in den Details der Vereinbarung stecken viele Tücken. Zwar sollen sich laut informierten Kreisen im Libanon die verbleibenden Hisbollah-Kämpfer hinter den Litani-Fluss etwa 30 Kilometer nördlich der Grenze mit Israel zurückziehen. Unklar bleibt aber, wer etwa darüber entscheidet, ob es sich bei Rückkehrern in südlichere Gebiete um Kämpfer, Sympathisanten oder Zivilisten handelt. Schon am ersten Tag der Waffenruhe meldete das israelische Militär im Süden mehrere Zwischenfälle, bei denen die Armee Schüsse auf verdächtige Personen abgegeben habe.

Eine Absicherung im Süden soll die vergleichsweise schwache libanesische Armee sein, die laut Berichten von 5000 auf 10 000 Soldaten im Grenzgebiet aufgestockt werden soll. Sie scheiterte aber schon nach dem vergangenen Krieg 2006 daran, Vereinbarungen zum Ende der Feindseligkeiten durchzusetzen. Deshalb gibt es auch Zweifel, ob sie dafür sorgen kann, dass die schweren Waffen und Infrastruktur der Hisbollah im Süden des Libanon zerstört werden, wie es die Einigung Berichten zufolge vorsieht.

Ein Streitpunkt könnte auch der Abzug israelischer Bodentruppen werden, die Ende September in das Nachbarland einmarschiert waren. Der schrittweise Prozess, bei dem nach 60 Tagen keine ihrer Soldaten mehr im Libanon sein soll, lässt Raum für Verzögerungen und unterschiedliche Auslegungen, etwa wenn die Hisbollah ihren Teil der Vereinbarung nicht einhält. Zudem behält sich Israel durch eine zusätzliche Garantie der USA das Recht vor, im Libanon jederzeit wieder militärisch vorzugehen. Auch hier ist unklar, wie weit die Zusagen der USA an Israel in dieser unabhängigen Vereinbarung reichen.

Insgesamt bewegt sich die Vereinbarung entlang der nie vollständig umgesetzten UN-Resolution 1701, die den Krieg 2006 beendete. „Die Herausforderungen sind dieselben wie vor 18 Jahren“, sagt Libanon-Experte Heiko Wimmen von der Denkfabrik Crisis Group. Nämlich die Frage, wie sichergestellt wird, dass Israel und Hisbollah sich auch langfristig an die Vereinbarung halten und was aus dem Arsenal der Miliz werden soll, die vor Kriegsbeginn zu den am stärksten bewaffneten paramilitärischen Gruppen der Welt zählte.

Bei der Ankündigung der Waffenruhe sprach Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit Blick auf die iranische „Achse des Widerstands“ – Teheran und seine Verbündeten in der Region, darunter auch die Hisbollah und die Hamas im Gazastreifen – von großen Erfolgen Israels an sieben Fronten. Nun könne Israel sich auf seinen wichtigsten Erzfeind konzentrieren und den Iran daran hindern, Atomwaffen zu erlangen, sagte Netanjahu.

Eine Kommentatorin der israelischen Zeitung „Jediot Achronot“ schrieb, Netanjahu habe in seiner Ansprache „die dringendste und schmerzhafteste Frage unbeantwortet gelassen: Warum hat er in Gaza nicht getan, was er im Libanon getan hat?“ Sie warf dem Regierungschef vor, er habe „die Geiseln aufgegeben“. Stattdessen vermarkte er nun einen angeblichen Sieg über die Hisbollah.

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