Lauterbach überstimmte RKI persönlich

von Redaktion

Minister widersprach 2022 von Wissenschaftlern angeregter Risiko-Herabstufung

Zerrüttetes Verhältnis: Lothar Wieler (li.) und Karl Lauterbach bei einer Corona-Pressekonferenz © dpa

München – Immer wieder freitags stand in Pandemie-Zeiten der große Auftritt des Lothar Wieler an. Der RKI-Chef teilte dann der versammelten Presse seine Einschätzung zur Corona-Lage mit – zunächst an der Seite des CDU-Gesundheitsministers Jens Spahn, später an der von Karl Lauterbach (SPD). Das Verhältnis zu Spahns Nachfolger galt allerdings irgendwann als zerrüttet – bis Wieler im Januar 2023 schließlich hinwarf.

Was mit ein Grund für die zunehmend angespanntere Beziehung gewesen sein dürfte, legen E-Mails zwischen den beiden Männern aus dieser Zeit nahe, über die die „SZ“ berichtet. Bereits im vergangenen Sommer war bekannt geworden, dass das Bundesgesundheitsministerium die Einschätzungen des RKI Anfang 2022 nicht umsetzte, als dieses sich für eine Herabstufung der Risikobewertung von „sehr hoch“ auf „hoch“ aussprach. Die Nachrichten zwischen Lauterbach und Wieler zeigen nun, dass es sogar der Minister persönlich war, der das verhinderte.

In einer Mail an den „Lieben Herrn Lauterbach“ schrieb Wieler demnach: „Wir sehen in naher Zukunft eine Reduktion von ,sehr hoch‘ auf ,hoch‘ vor, da die Krankheitsschwere von Omikron geringer ausfällt als die von Delta.“ Lauterbachs Antwort: „Die Herabstufung der Risikobewertung halte ich für problematisch.“ Sie würde den hohen Fallzahlen widersprechen, außerdem sei sie vor der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) am 16. Februar „das falsche Signal“. Am 25. Februar hieß es laut Bericht, die „Reduzierung des Risikos von sehr hoch auf hoch wurde vom BMG abgelehnt.“ Erst am 5. Mai 2022 wurde die Abstufung schließlich durchgeführt.

Kritiker wie FDP-Vize Wolfgang Kubicki mutmaßen, dahinter habe womöglich auch die Motivation gesteckt, möglichst viele Abgeordnete dazu zu bewegen, bei der im April 2022 anstehenden Abstimmung im Bundestag für eine Impfpflicht zu stimmen. Am Ende ging es bekanntlich anders aus. Eine Impfpflicht wurde nicht eingeführt. Kubicki nennt Lauterbachs Rücktritt nun „unvermeidlich“.

Lauterbach sieht das anders. „Hätten wir im Februar 2022 die Risikostufe bereits herabgesetzt, als zum Teil noch hunderte Menschen am Tag an Covid gestorben sind, wäre das ein Fehler gewesen“. Daher sei die Herabstufung damals zu Recht verschoben worden, erklärte der Minister. Der „SZ“ sagte er zudem: Das RKI sei eine dem BMG nachgeordnete Behörde, über die er die Fachaufsicht habe. „Und Fachaufsicht bedeutet nicht Abnicken.“ Dass er selbst es war, der die Einschätzung der RKI-Wissenschaftler quasi überstimmt hat, hat Lauterbach bis jetzt allerdings für sich behalten.
HOR

» KOMMENTAR

Artikel 6 von 11